Wollny – Kruse – Schäfer | 28.10.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Ein ständiges Auf und Ab, ein unablässiges Pendeln, ein gleichmäßiges Ticken. Die innere Balance stimmt.

Keiner versucht den anderen in eine der verwinkelten Ecken des Neuburger Hofapothekenkellers zu spielen, jeder darf glänzen und tut dies auch weidlich, alle drei achten aufeinander. Egotrips, die Pestbeule des Modern Jazz, haben bei Michael Wollny, Eva Kruse und Eric Schaefer wirklich keine Chance. Diesmal agieren tatsächlich drei Musiker im „Birdland“-Jazzclub, die sich als gleichrangig verstehen, ihre kompositorischen Ideen in ihrem gemeinsamen Projekt zusammenwürfeln und sogar paritätisch die Stücke ansagen. Bei Deutschlands derzeit bestem Pianotrio – zumindest im Nachwuchsbereich – wird alles brüderlich und schwesterlich geteilt.

Das wirkt und funktioniert tatsächlich, weil die drei unter dreißig sind und die Offenheit Berlins vorleben. Postmoderne stilistische Beliebigkeit ist ihnen ein verquaster intellektueller Begriff von gestern, und was soll der auch angesichts des Erlebens der Gleichzeitigkeit von Techno, Hip-Hop, Rotem Bereich, Rosa Rauschen, Keith Jarrett, Cecil Taylor sowie der jazzakademischen Ausbildung? Letztere muss hervorragend gewesen sein, denn der Pianist Wollny, die Bassistin Kruse und der Drummer Schaefer sind brillante junge Virtuosen auf ihren Instrumenten.

Frisch und frech, drängend und ungebärdig gehen die neutönenden Jazz-Demokraten ans Werk. Zwischen Tradition und Experiment betätigen sie sich als wilde Klangmaler, die keine schönen oder auch nur ohrwürmigen Melodien anbieten, sondern stattdessen mit mannigfaltigen Farben arbeiten, mit Wiederholungen musikalischer Raster, mit perkussiven Geräuschattacken des Drummers, mit heftigen Riffs, die auf dem Bass hart gezupft oder bis zum Quietschen gestrichen werden.

Vor allem bleiben Wollny-Kruse-Schaefer aber immer überraschend. Mitten in „Ictus“ wechseln sie die rhythmischen Figuren, brechen die Struktur auf und bleiben doch präzise und eng beieinander. Formenreichtum als Reaktionsschema. Da swingt der Bass durch die unverständlicherweise nur spärlich gefüllten Stuhlreihen, und der Pianist folgt. Da entsteht ein statischer Klangraum, durch den sich der kongeniale Klangkörper rhapsodisch bewegt. Da gibt das Ostinato die Melodie vor, während die rechte Hand Wollnys am Klavier den Druckpunkt sucht, der den Schmerz löst. Die Schönheit liegt im Zentrum einer Musik, die vom freien Jazz ebenso weit entfernt ist wie vom gepflegten Bebop oder der kraftmeierischen Schunkelmusik eines Esbjörn Svensson Trios.

Die Meisterwerke der Drei besitzen eine geradezu mitreißende, hypnotische Kraft. Ob das streng minimalistische Muster in „Bells“, bei dem Wollny ein Glockenspiel zitiert, aus dem er nach unendlicher Wiederholung schlagartig mit einer kühnen Improvisation ausbricht, oder „Fatique“, dieses im reinsten Wortsinn kreiselnde, taumelnde, einen wohl bekannten Zustand beschreibende Finalstück mit blubbernden Pianoblasen und einem bleiern müden, schlurfenden Beat. Weil es wie ein Echo in der Rem-Schlafphase endet, hört man noch einen Besucher ganz vorne entrückt „Wahnsinn“ murmeln. Gedacht haben das bestimmt alle in diesem Moment.