Donaukurier | Karl Leitner
Loren Stillman, Tenor- und Altsaxofonist, Komponist und Bandleader, geboren in London, heute im US-Bundesstaat Montana zu Hause. „Weil da weniger Leute sind,“ wie er im Laufe seines Konzerts im Neuburger Birdland sagt. Zur Zeit von Corona lebte er in Köln und lernte dort den Schlagzeuger Jones Burgwinkel und den Bassisten Robert Landfermann kennen, die beide seit Jahren zum Besten gehören, was Deutschland in Sachen Jazz zu bieten hat.
Da sieht man mal wieder, dass sogar eine Pandemie etwas Gutes zur Folge haben kann. Das Trio aus diesen Musikern zum Beispiel, das sich immer dann trifft und ein paar Gigs spielt, wenn Stillman im Lande ist. Was kein leichtes Unterfangen ist, weil man sich ja erst wieder zusammenfinden muss, noch dazu angesichts einer Musik, hinter der ein Plan steht, nämlich der, „frei“ zu agieren, gleichzeitig aber die Details der musikalischen Form nicht aus den Augen zu verlieren. Das stellt ein Trio, das improvisieren will, vor eine nicht zu unterschätzende Herausforderung und setzt beim Publikum Konzentrationsbereitschaft voraus.
Stillman, durch seine Zusammenarbeit mit Charlie Haden. Paul Motion, Carla Bley und John Abercrombie als Vertreter des Post-Bop in der Szene fest verankert, beginnt mit „Backyard“, „Unsung“ „Time And Again“ und „Fearless Dreamer“ aus eigener Feder. Das sind die Stücke auf der Setlist, die schwerer zugänglich sind, verraten aber auch in besonderer Weise das Erbe von Lee Konitz, Warne Marsh und Paul Motian, dem sich Stillman verbunden fühlt. Nach der Pause kommt die Zeit für die typischen Bebop-Themen wie in „Waterworks“ und „Folk Song“, für den unwiderstehlichen Groove von „Between The Devil And God“ und für die Adaptionen. Jim Pepper’s „Wichi Tia To“ und Charlie Haden’s „In The Moment“ sind Musterbeispiele für Bearbeitungen, bei denen das Original in all seiner Schönheit und Einzigartigkeit erhalten bleibt, ohne dass deswegen derjenige, der sich ihrer annimmt, an Eigenständigkeit verlöre.
Stillmans lange Bögen sind ein Genuss, sein Spiel ist geprägt von großer Intensität, ohne dass er darum ein großes Gewese machen würde. Landfermann entlockt seinem Bass einen warmen und doch so ungemein prägnanten Ton und sein mit dem Bogen gespieltes Intro als Einstieg ins zweite Set ist von geradezu hinreißender Eleganz. Und Burgwinkel ist – um es ganz kurz auf den Punkt zu bringen – ein Meisterdrummer. Was ihm innerhalb des ausgesteckten Parcours einfällt, ist einmal mehr sensationell. Was auch immer ihm spontan passend erscheint, wird per Hände, Arme, Beine und Füße in Rhythmus umgesetzt. Das kann sich durchaus mal sperrig anfühlen oder anhören, aber man kann sich sicher sein, dass in seinem Inneren quasi permanent ein Metronom mitläuft und den Beat vorgibt, eine innere Uhr, deren Ticken man zwar nicht unbedingt akustisch wahrnimmt, auf deren Funktionieren man sich aber blind verlassen kann.
Am Ende ist es ein Abend, bei dem so vieles, was Jazz ausmacht, zum Tragen kommt. Spontaneität, Komplexität und die Lust an der freien Entfaltung, Emotionalität und das Wissen um die Existenz von Regeln, kompositorische Vielfalt und interpretatorische Reife, die Lust, etwas auszuprobieren und nicht zuletzt ein Publikum, das dies alles zu würdigen weiß, heftig beklatscht und lautstark um Zugabe bittet.
Donaukurier | Karl Leitner
Zwei Schläge auf ein Glöckchen, ein Basstupfer, ein paar fast schüchterne Töne am Flügel. So beginnt Andy Beck’s „Spring“ in der Bearbeitung des schwedischen Pianisten Bobo Stenson. Verhalten, zaghaft und fast unmerklich beginnt der skandinavische Frühling, löst sich die Erstarrung des Winters, machen sich Bewegung und Farben breit. Aquarellene, in sich verwobene zuerst, später dann kräftigere.
In „Kingdom Of Coldness“, der letzten Nummer vor der Zugabe, wird Stenson noch einmal auf dieses Bild zurückkommen, das man sogar als Rahmen sehen kann für ein Konzert, in dem so vieles passiert, das aber dennoch in jeder Phase die Handschrift Stenson’s trägt. Er ist ja beileibe kein Unbekannter. Einer der ersten ECM-Künstler überhaupt, langjähriger Weggefährte von Jan Garbarek, Charles Lloyd und Tomasz Stanko, Partner von Gary Burton, Sonny Rollins und Stan Getz. Ein Pianist, der sich in der Vergangenheit vieler Strömungen, Richtungen und Musiker annahm und dies auch heute, mit 80 Jahren, noch tut und dabei auch noch eine völlig eigenständige Stilistik entwickelt hat.
Feiner Anschlag, fragile, kammermusikalische, teils minimalistische Interpretationen, eine ungemein lyrische und gleichzeitig reduzierte Ausdrucksweise, bei der Pausen fast ebenso wichtig sind wie gespielte Töne. Große Bedeutung hat für ihn die poetische Komponente, die sich in Klangmalereien ausdrückt. Schriebe jemand den Wettbewerb aus, das Phänomen der Aurora Borealis in Klänge umzusetzen, hätte Stenson beste Chancen. Er mag ein Individualist und seine Vorgehensweise mag ungewöhnlich, ja, unorthodox sein, aber ein Eigenbrötler ist er deswegen ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Er vertont mit Silvio Rodriguez einen kubanischen Singer/ Songwriter, streift nebenbei Don Cherry und bringt damit den Free Jazz in Erinnerung, verbeugt sich mit „Unquestioned Answer“ vor dem amerikanischen Komponisten Charles Ives und dessen Werk, gibt via Alfred Janson’s Komposition „Ky And Beautiful Madame Ky“ über den ehemaligen vietnamesischen Machthaber und seine Gattin eine politische Stellungnahme ab, bevor er und seine Band das Publikum musikalisch mal eben nach Katalonien entführen. Und wer nach Spuren von Bela Bartok und Erik Satie sucht, wird auch sie finden.
Seine Band? Ein Traum! Seit fast zwei Jahrzehnten sind Stenson, der Kontrabassist Andrers Jormin und der Schlagzeuger/Perkussionist Jon Fält eine in sich geschlossene Einheit. Trotz weit auseinander liegender Quellen schafft es das Trio, die unterschiedlichen Energien zu bündeln, stets neu aufeinander zuzugehen, sich immer wieder neu zu finden zu erfinden. Stenson’s klare Konturen, Jormin’s kraftvoll geerdete Basslinien und Fält’s unorthodoxe, witzige Einfälle an den Trommeln, den Becken und an diversen Perkussionsinstrumenten sind perfekt aufeinander abgestimmt. Jeder der drei Musiker für sich mag ein Unikat sein, aber jeder von ihnen hat auch eine unbändige Lust auf spontane Kommunikation. „Wir haben keine feste Art zu spielen“, sagt Stenson. „Die Dinge kristallisieren sich aus dem Moment heraus und wir passen uns an. Das ist die Quintessenz unserer Musik“. Und die Quintessenz dieses Abends im Birdland? – Absolut außergewöhnlich und sogar für erfahrene Jazzliebhaber eine Offenbarung.
Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
Klingt das tatsächlich nach Abschied? Wer sich in den vergangenen Tagen im Umfeld von Bobo Stenson umhört, auch bei seiner Plattenfirma ECM aus Gräfelfing, den beschleicht ein mulmiges Gefühl beim Betreten des Hofapothekenkellers. Bobo Stenson werde danach wohl keine weitere Tournee mehr in Angriff nehmen, heißt es da. 80 Jahre ist der große schwedische Pianist inzwischen alt, das letzte Konzert in Neuburg musste wegen Krankheit abgesagt werden. Nun kommt er wieder mit seinen Dauerpartnern Anders Jormin (Kontrabass) und Jon Fält (Schlagzeug), und es wirkt irgendwie nicht wie ein Lebewohl, sondern vielmehr wie ein Neustart. Stenson, Jormin und Fält kredenzen einen Abend, der dem völlig ausverkauften Birdland-Jazzclub noch lange in Erinnerung bleiben wird – ein Statement für das pulsierende Leben und die Diversität der Musik.
Jeder im Raum weiß, wie Bobo Stenson normalerweise klingt: wie einer, der seine Klavierfinger scheinbar in Wattebäusche hüllt, um noch sanfter, meditativer zu klingen, den Tönen noch mehr Spieldosencharakter zu verleihen. Eine Melodie kann er problemlos in drei Takten zum imaginären Chanson hochhauchen, innig klingt es, sanft auch im Rasanten und bisweilen wie ein spontanes Wiegenlied im Zwischenreich von Traum und Wirklichkeit. Und jeder hat auch ein Derartiges erwartet. Doch der knorrig-sympathische Schwede ist beileibe kein Kitschzyniker, der Klangtapeten als Jazz verkaufen will. Stenson evoziert virtuos Stimmungen, geht von der Dunkelheit ins Licht und wieder zurück, wechselt im Thema flugs die Farbfilter und variiert die Temperaturen auf eine Art und Weise, die man von ihm nicht erwartet hätte. Während sich langgezogene, hügellose Soundlandschaften mit einem Mal in kurze, aber elektrisierende Freejazz-Labyrinthe verwandeln, um dann urplötzlich in kochende, brodelnde Groove-Sümpfe überzugehen (hier sticht vor allem ein über zehnminütiges Hexengebräu seines ehemaligen Kompagnons Don Cherry nach der Pause hervor), haut einen die unbändige Spielfreude des Dreiers förmlich um.
Natürlich bedient Bobo Stenson seinen Ruf als Meister der wohlgesetzten Pausen, als Ton gewordenes Synonym für guten Geschmack, der in seinem Spiel lyrisch, variantenreich und hochsensibel die komplette Geschichte des Jazzpianos mit dem Impressionismus eines Bill Evans, der Abstraktionsfähigkeit eines Paul Bley oder der Linearität eines Brad Mehldau bündelt. Aber gerade seine beiden Partner Anders Jormin (selten klang ein Bass im Hofapothekenkeller raumgreifender, voller, präsenter) und Jon Fält haben offensichtlich einen Heidenspaß, weil sie sich mit allerlei Taschenspielertricks an ihren Instrumenten immer wieder gegenseitig verblüffen. So offeriert Fält in Neuburg das etwas andere Drum-Solo: Von laut zu leise und wieder laut, von der Basstrommel zu Metallringen und aufgeblasenen Backen. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, muss dran glauben. Das Beste bei diesem Trio: Der Unterhaltungswert verteilt sich diesmal zu gleichen Teilen, alle, nicht nur der Pianist, sind Hauptdarsteller. Bobo Stenson, der seinen Mitstreitern allen Raum lässt und glücklich lächelt, nennt dies „freie Kammermusik“.
Und so intonieren sie hymnische Titel wie „Spring“, setzen mit „The Red Flower“ ein an Nordkorea gerichtetes, politisches Statement und lenken mit „Unquestioned Answer – Charles Ives In Memoriam“ sowie „Ky And Beautiful Madame Ky“ von Alfred Janson die Aufmerksamkeit auf zwei ihrer unbekannten Lieblingskomponisten. Gerne hätte sich das restlos begeisterte Publikum noch mehr von dieser wunderbaren, alle Sinne berührenden Musik gewünscht. Doch trotz intensiver Ovationen gibt es nur eine Zugabe. Warʼs das tatsächlich für Bobo Stenson in Neuburg? Nach einem berauschenden Abend wie diesem möchte man dies eigentlich überhaupt nicht glauben.
Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
Der edle Bösendorfer-Flügel im Birdland Jazzclub hat genau 88 Tasten, wie es sich eben in der langen Tradition des Klavierbaus entwickelt hat. Viele Pianisten nutzen davon nur einen Teil, die untersten Tasten und die obersten haben bei einem normalen Konzertabend oft ein geruhsames Dasein. Bei Claus Raible ist das anders.
Der Piano-Großmeister aus München greift immer wieder auch auf die äußersten Töne zu, bei wilden Ritten über die komplette Tastatur und auch bei den lyrisch geprägten Klangbildern seiner Eigenkompositionen. Wenn Raible in Fahrt ist, dann mag einem in den Sinn kommen, er würde auch mit 100 Tasten noch jede Menge verrückter Dinge anstellen.
Der Mann aus der Champions-League der Jazz-Pianisten könnte den Abend locker auch als Solist bestreiten, und er könnte das Trio mit dem feinfühligen, hellwachen Schlagzeuger Xaver Hellmeier und dem unaufdringlichen Virtuosen Milos Colovic am Bass einfach dominieren. Aber gerade das ist nicht der Fall. Die drei Jazzer formen sich zu einer starken, mit Witz und Raffinesse musizierenden Einheit. Sie stellen einen suggestiven, satten Sound in das Kellergewölbe.
Der Spiritus Rektor sitzt schon am Klavier, aber die beiden anderen arbeiten ihm nicht nur auf hohem Niveau irgendwie zu. Charakteristisch für das Claus Raible Trio ist, dass es nur selten eine Abfolge von jeweils mit kurzem Szenenapplaus belohnten Soloeinlagen gibt. Statt dessen ist der unverwechselbare Stil dieser Combo, auch wenn alle drei voll in die Saiten, Tasten oder Becken und Trommeln greifen, fast kammermusikalisch durchsichtig und von einer gemeinsamen musikalischen Vorstellung getragen.
Das ist Trio auf einem Niveau, das man nicht zu oft erleben kann. Der Schlagzeuger macht nicht nur den Rhythmus, sondern produziert auf seinem Instrument verblüffend melodische und harmonische Elemente. Der Pianist lässt zwischen seinen emotionalen Ausflügen in die komplette Harmonielehre urplötzlich rein perkussive Akzente hören, die man eher vom Schlagzeug erwartet. Und der famos intonierende Bassist steuert dazu improvisatorische Eskapaden bei, die den Gesamtsound immer wieder veredeln. Wenn man so will, denkt jeder in diesem Trio nicht nur den Part der anderen mit, sondern spielt im Grunde auf allen drei Instrumenten.
Diese Art des Musizierens wird in Eigenkompositionen wie „Excenter“ oder „La villa orientale“ in einer frischen Leichtigkeit zelebriert. In anderen Stücken wie „Accellerando in blue“ kommt sie mit mehr Kraft und in einer gegen Ende überwältigenden Weise über die Rampe. Aber auch in solchen Momenten geht die Durchsichtigkeit nicht in der großen Emphase unter. Das alles ist harte, ehrliche Arbeit auf der Bühne, aber die Anstrengung ist nicht zu spüren. Aus solchem musikalischen Edelholz sind Konzerte geschnitzt, die im Gedächtnis bleiben.
Donaukurier | Karl Leitner
„Jazz is not dead, it just smells funny.“ „Jazz ist nicht tot, er riecht nur komisch“ – Dieses Zitat aus dem Munde des für seine flotten Sprüche bekannten Frank Zappa stammt aus dem Jahre 1974. Natürlich ist es flapsig gemeint, hatte er doch selber gerade zwei bahnbrechende Jazzalben vorgelegt und das Zitat bezieht sich selbstredend auf die Zeit vor der Elektrifizierung des Jazz, auf Bebop und Hardbop.
Ausgerechnet damit freilich, mit Thelonious Monk, Bud Powell, Herbie Nichols und all den anderen Größen aus jener Zeit ist der Münchener Pianist Claus Raible innig verbunden, und als er an diesem Abend im ausverkauften Birdland-Keller gastiert, widerlegt er ab dem ersten Ton Zappa’s These, die damals für manchen durchaus nachvollziehbar gewesen sein mag, die bei diesem Konzert in Neuburg aber ganz sicher nicht gilt. Raible bewegte sich schon früh im Windschatten der damaligen Größen, überzeugte als deren Nachlassverwalter, als souveräner Interpret bekannter und weniger bekannter Stücke aus deren Federn, als glänzender Solist und umsichtiger Bandleader.
Aktuell allerdings lotst er Bud Powell’s „Un Poco Loco“, Dizzy Gillespie’s „Tin Tin Deo“ und Thelonious Monk’s „Blue Monk“ auf neues Terrain und garniert die Setlist mit eigenen Stücken wie „Accelerando In Blue“ oder „What Love Exotique“, das er nach den Changes von Cole Porter’s „What Is This Thing Called Love“ geschrieben hat. Die Band mit Raible, seinem langjährigen Weggefährten Xaver Hellmeier am Schlagzeug und Miloš Čolovič aus Belgrad am Kontrabass marschiert über vergleichsweise weite Strecken gemeinsam, es gibt viele festgesetzte Elemente, weniger die für das Genre oft so typischen ellenlangen, dafür mehr gestraffte und deswegen stringente Soli, in denen die Bandmitglieder ungemein treffsicher auf den Punkt kommen und niemals das gemeinsame Ziel aus dem Auge verlieren.
Logik und Nachvollziehbarkeit, gepaart mit Eleganz und Nonchalance, zeichnen Čolovič aus, Hellmeier tut sich mit einigen Soli hervor und genügt dabei höchsten Ansprüchen und Raible brilliert, bequem und entspannt auf einem Küchenstuhl statt auf einem Klavierhocker sitzend, mit rasenden Läufen, die er präsentiert, als schüttele er sie mal eben so aus dem Ärmel. Was er in der Tat auch tut, dabei die gesamte Klaviatur abschreitend. Wenn er mit Akkorden, die auch mal dissonant sein dürfen und wie Querschläger anmuten, immer wieder die wie geschmiert vor sich hin schnurrenden Läufe aufreißt, Melodien gegen den Stich bürstet und bis zur Verfremdung variiert, dann hat das zwar sehr viel mit den alten Blue Note-Einspielungen von einst zu tun, riecht jedoch alles andere als komisch.
Im Gegenteil. Was Raible und seine Begleiter ihrem Publikum anbieten, ist nicht nur beste Unterhaltung mit Standards und Eigenkompositionen, wobei letztere allesamt das Zeug dazu hätten, selber ins Real Book aufgenommen zu werden, sondern auch eine Frischzellenkur für ein Genre, das in der Geschichte des Jazz eine führende Rolle einnimmt. Auch heute noch. Oder besser gesagt: Erfreulicherweise heute wieder, auch dank Musikern wie Raible, die über die nötige Sturheit verfügen, sich nicht von ihrem Weg abbringen zu lassen und, indem sie ihn gehen, ihre Musik immer wieder neu definieren, ohne die Altvorderen auch nur eine Sekunde lang zu kopieren. Ein herausragendes Konzert mit einem Claus Raible Trio in Hochform.
Donaukurier | Karl Leitner
Immer, wenn in der Vergangenheit der Weltklasse-Pianist Marc Copland aus New Jersey seinen Besuch im Birdland-Gewölbe unter der ehemaligen Hofapotheke in Neuburgs Altstadt ankündigte, wurde sein Auftritt zu einem Highlight der jeweiligen Konzertsaison. Dies betreffend stellt der Abend, den er zusammen mit dem Kontrabassisten Daniel Schläppi bestreitet, keine Ausnahme dar.
Mit dem Tieftöner aus dem Berner Land verbindet ihn seit Jahren eine Art Seelenverwandtschaft, mit ihm hat er das Duospiel auf ein neues Level gehoben. Jeder der beiden reagiert auf jede noch so kleine Nuance seines Kollegen, beide gehen eine fast schon symbiotische Partnerschaft ein und veredeln die speziell für diesen Abend ausgewählten Stücke aus dem großen Buch des Jazz auf einzigartige, sonst nirgendwo so zu hörende Weise. Es gibt Stellen im Laufe des Konzerts, an denen wird Copland, tief vorne über gebeugt, eins mit dem Bösendorfer, kriecht förmlich in ihn hinein, drückt sich nicht nur wie unsereins mit Worten, Gesten oder mit Mitteln der Mimik aus, sondern zusätzlich und vor allem über sein Spiel. Im Dialog mit seinem kongenialen Partner erzählt er über seine Melodieführung, seinen Anschlag und seine in Töne gegossenen Emotionen Geschichten, lädt seine Zuhörer ein, einen Blick zu riskieren in die Welt seiner Gefühle und Befindlichkeiten. Und nachdem die sich logischerweise ändern kann und nicht jeden Tag gleich aussieht, kann man sich sicher sein, tatsächlich einem einmaligen Ereignis beizuwohnen. Denn Copland und Schläppi sind, auch wenn sie Eckdaten vom Notenblatt abrufen, auch ein Synonym für Ehrlichkeit. Täglich reproduzierbare und somit identische Ereignisse auf Knopfdruck gibt es bei ihnen nicht.
An diesem Winterabend im Birdland ist Copland weniger introvertiert als bei früheren Konzerten. Freilich, fast greifbare Stille, Intimität und der souveräne Umgang mit dem Faktor Zeit sind ihm nach wie vor wichtig, aber bei Miles Davis‘ „All Blues“, John Abercrombie’s „Love Letter“ und Sonny Rollins‘ „Oleo“ geben sich er und Schläppi durchaus gut gelaunt, plaudern via Musik miteinander und mit dem Auditorium und Copland bewegt sich auch nicht – was in der Vergangenheit ab und zu durchaus mal vorkam – in seinem eigenen Kosmos, sondern durchaus in dem seines Publikums. Jule Styne’s „I Fall In Love So Easily“ und „And I Love Her“ von Lennon/McCartney werden durch die Versionen des Gespanns Copland/Schläppi und ihre Nähe zum Mainstream nicht nur zu eleganten Adaptionen, die wegen der künstlerischen Finessen in der Ausführung den Intellekt erfreuen, sondern auch zu Stücken, die wegen der emotionalen Tiefe in der Interpretation direkt ans Herz greifen.
Grandezza am Grand Piano und emo-tionale Tiefe am Kontrabass. Was für ein Duo, was für liebevolle Umgestaltungen von Stücken, die man bereits bestens zu kennen glaubt und die doch so viel Neues, Spannendes und vor allem Wunderschönes bereit halten. Die beiden jüngsten Alben von Copland und Schläppi heißen „Essentials“ und „More Essentials“. Und obwohl die Songauswahl, die die beiden für Neuburg geplant hatten, mit deren Inhalt nicht mehr allzu viel zu tun hat, passt deren Titel in abgewandelter Form doch auch für dieses überragende Konzert. In jeder Hinsicht essentiell.
Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
Wer Marc Copland in den vergangenen Jahren im Birdland-Jazzclub immer wieder gesehen und gehört hat, der glaubt inzwischen zu wissen, was kommt: wieder eines dieser intimen, introvertierten Intermezzi. Und diesmal lässt der amerikanische Pianist, der sich mit dem Schweizer Ausnahmebassisten Daniel Schläppi auf einen musikalischen Dialog einlässt, bereits zu Beginn sogar das Licht dimmen, um es seiner grundmelancholischen Stimmung anzupassen. Also alles wie gewohnt?
Weit gefehlt! Wer sich tatsächlich etwas intensiver mit dieser Ausnahmeerscheinung des zeitgenössischen Jazzpianos auseinandersetzt, mit einem Mann, der sich selbst ständig hinterfragt und weiterentwickeln möchte, der stellt auch diesmal einige kleine, aber im Laufe eines Konzertes durchaus wesentliche, markante Veränderungen fest. Nummer eins: Coplands Anschlag ist zupackender, beherzter geworden. Er tupft nur noch selten seine altbekannten gläsernen Akkorde in die Klaviatur, schwelgt vielmehr genussvoll in den Harmoniefolgen der einzelnen Stücke. Und: Es sind tatsächlich mehr Noten als noch zu Zeiten, in denen Pausen oft wertvoller schienen als der Klang der Flügel-Saiten. Dabei umspielen sich der Pianist und der Bassist behutsam, zuvorkommend, wertschätzend, aber nichtsdestoweniger intensiv. Sie wechseln sich unscheinbar in der Melodieführung oder der Rhythmusstruktur ab, funktionieren telepathisch, beinahe wie ein altes Ehepaar, das den nächsten Schritt des Partners schon Sekunden im Voraus erahnt.
Während früher jede Menge freier, knorriger Improvisationen Platz griffen, boppt, groovt und swingt es mittlerweile erstaunlich herzhaft und launig, ohne dabei gleich eine populistische Rolle rückwärts zu schlagen. Marc Copland und Daniel Schläppi würde nie Artefakte aus dem Jazzmuseum kopieren, obwohl sie die alten Nummern schätzen und verehren. Die beiden erzählen vielmehr die Geschichten hinter bekannten Standards wie „Eighty One“ von Bass-Ikone Ron Carter oder „Nardis“ von Miles Davis neu, aus ihrer Perspektive, erfinden ein paar Anekdoten dazu und lassen dann dem Publikum dann genügend Interpretationsspielraum, das dann seinen eigenen Schluss kreieren darf. Bestes Beispiel: Das schlängelnde „All Blues“ entwickelt die gründelnde Kraft einer mächtigen Lawine, die im Zeitlupentempo einen Berg hinunterrollt, während das extrem tanzbare „Oleo“ von Sonny Rollins kurz vor der Pause unerwartet heiter und hibbelig bleibt.
Dabei befinden sich Copland und Schläppi ständig auf der Suche nach alternativen Wegen. Stücke, die sie am Abend zuvor andernorts intonierten, klingen 24 Stunden später im Hofapothekenkeller völlig anders. Und so gerät jedes Konzert zu einem funkelnden Unikat, jeder Song zu einer wertvollen Perle. Manchmal wirkt Daniel Schläppi mit seinem behutsamen, bindenden, achtsamen Spiel bei der gemeinsamen Abenteuertour wie ein Sherpa, der versucht, einen Freund sicher zum Gipfel zu geleiten. Wie oft hat Marc Copland im Birdland schon Stücke wie „Love Letter“ aus der Feder seines verstorbenen Weggefährten John Abercrombie oder sein eigenes „Round She Goes“ gespielt? An diesem Tag klingen sie noch eine Idee runder, reifer, schöner, vielleicht noch nicht superperfekt. Aber ein bisschen Luft nach oben muss ja noch bleiben, für die Zukunft. Vor allem die innigen Momente bleiben als Höhepunkte eines atemberaubenden Konzertes im ausverkauften Gewölbe bis zum nächsten Besuch der beiden Melodienwandler im Gedächtnis haften. Das bezaubernde Traditional „Greensleeves“, die hinreißende Zugabe „In A Sentimental Mood“ von Duke Ellington. Unerreicht jedoch: der atemberaubende Beatles-Klassiker „And I Love Her“. Die 2025er-Neuburg-Fassung von Marc Copland und Daniel Schläppi mit der hypnotisch kreiselnden, flehenden Wiederholung des Themas erwischt einen wirklich am wundesten Punkt und rührt zu Tränen. Ein magischer Abend!bh
Donaukurier | Karl Leitner
Selbstverständlich treten Jesse Davis und sein Quartet bei Bedarf auch in größeren Sälen auf. Nirgends freilich übt seine Musik eine derart intensive Wirkung auf das Publikum aus wie in kleinen Clubs. Clubs wie dem Birdland in Neuburg oder dem Smalls in New York City, wo Davis auch die Stücke für seine bislang jüngste CD mitschneiden ließ.
Die jedoch spielt er im bis auf den letzten Stehplatz gefüllten Birdland gar nicht, nein, er ist schon längst wieder einen Schritt weiter, hat für seine Gigs in der alten Welt ein knappes Dutzend alternativer Kompositionen ausgewählt, eigene wie das bluesige „Pray To Be Free“ und das knackige „You Never Know“, Adaptionen von Thelonious Monk, Benny Golson und Tom McIntosh und auch ein paar Standards wie „In A Sentimental Mood“ und „Night And Day“. Swing, Be Bop, Hard Bop, unwiderstehliche Themen, originelle Soli – das gibt es von anderen Altsaxofonisten auch, selten aber bewegt sich einer in diesem Bereich des Jazz mit einer derartigen Intensität wie Davis, gibt seinem Publikum derart überzeugend das Gefühl, jeden einzelnen Ton mit Händen greifen zu können, in sich aufzusaugen und auf Seele und Körper wirken zu lassen.
Bei diesem Konzert im Birdland sind sich Musiker und Publikum ganz besonders nah, auch wenn Davis nur tut, was – ganz nüchtern betrachtet – andere in Neuburg auch schon taten, nur eben mit einer Hingabe, einer Wärme und einer Emotionalität, mit der es manch anderer in diesem Ausmaß eben nicht tun. Vielleicht liegt es daran, dass das Publikum während der Songs so andächtig lauscht und mit dem Applaus bis zum Ende des betreffenden Stücks wartet, worüber sich Devis wundert. „Ihr seid so ruhig, als wärt ihr in der Kirche“, sagt er, der von zuhause etwas ganz anderes gewohnt ist. „In my church it rocks!“ – Nun ja, Hochachtung kann man eben so oder so ausdrücken.
Davis kommt ursprünglich aus New Orleans und somit aus dem Dunstkreis von Wynton und Branford Marsalis und Terence Blanchard, wird längst als deren würdiger Nachfolger gehandelt und manche sagen auch, er sei von Cannonball Adderly und Phil Woods beeinflusst. Das mag alles sein, ist aber nicht entscheidend. Im Birdland besteht er mit Nachdruck auf seiner eigenen Spielweise, beweist, dass er auf dem besten Weg ist, selbst ein weiterer Stilbildner zu werden und zwar auf eine in höchstem Maße uneitle, unaufdringliche Weise. Seiner europäischen Band mit Oliver Kent am Flügel, Martin Zenker am Kontrabass und Mario Gonzi am Schlagzeug lässt er all den Freiraum, den sie für sich einfordern. Und die danken es ihm zur Freude des Publikums mit bereichernden solistischen Beiträgen, die jede einzelne Nummer des am Ende weit über zweistündigen Konzerts zu einem besonderen Ereignis machen.
Große Musik in kleinem Rahmen. Und die Hütte ist rappelvoll. Da ging das Konzept des Birdland Jazzclubs wieder mal auf höchst beeindruckende Weise auf, was aber nicht nur an diesem einen Abend liegt und nicht nur an Jesse Davis und seiner Band, sondern an Jahrzehnte langer Arbeit, stetem und erfolgreichem Mühen um ein hochwertiges Programm und dem richtigen Gespür dafür, wie man es dem Publikum nahebringt. „The real Birdland is here in Neuburg“, sagt Davis im Verlauf des Konzerts.
Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
Eigentlich ist es ja ein Trio. Warum die Hinzunahme zweier solch famoser Bläser wie des Trompeters Jakob Bänsch und des Tenorsaxofonisten Alexander „Sandi“ Kuhn nicht automatisch gleich die Umbenennung in ein Quintett nach sich zieht, dass kann allein Gee Hye Lee beantworten. Vielleicht liegt es auch daran, dass die gebürtige Koreanerin, die seit 2009 in Stuttgart lebt und sich von dort aus eine kleine, aber feine Karriere aufgebaut hat, ihr ganzes musikalisches Denken und Handeln vom liebgewonnenen musikalischen Dreieck aus ansteuert. Seit vielen Jahren schon agiert sie mit dem Bassisten Joel Lochner und der unglaublichen Schlagzeugerin Mareike Wiening an der Seite – zwei Sicherungsanker, mit denen dieser hinreißend offenen und erzählerisch hochbegabten Pianistin schlicht nichts passieren kann.
Wenn dann aber, wie am Schluss ihrer Tournee durch deutsche Clubs und Hallen, im Neuburger Birdland Kraftwerke wie eben Bänsch und Kuhn mit auf der Bühne stehen, dann verändert sich automatisch Gee Hye Lees Musik. Sie wird fragiler, noch einen Tick emotionaler, berührt, bewegt und fasziniert. Es ist dieses Wechselspiel aus wilden solistischen Jagden, die mit seltener Einvernehmlichkeit stets in ein großes Fest aus pulsierenden Rhythmen und dramatischen Endungen münden, und wunderschönen harmonischen Klanglandschaften, die Sonnenuntergänge sowie einen weiten Horizont evozieren können. Ein Trio mit zwei instrumentalen Diamanten, um die jede andere Band die 47-jährige Leaderin beneiden würde, präsentiert ihr Kompositionen, die eine Prise fernöstlichen Zaubers verströmen, aber im Kern den klassischen amerikanischen Jazz in die Gegenwart überführen. Mit einer Ausnahme: Der Standard „My Favorite Things“ gerät zum Musterbeispiel für gelungene Kollektivimprovisation und Virtuosität.
Ansonsten gewährt Gee Hye Lee ihren Mitstreitern die lange Leine, und das ist weiß Gott nicht die schlechteste Entscheidung. Denn vor allem dem jungen Jakob Bänsch zuzuhören und ihn dabei zu beobachten, wie er lange, kraftvolle Linien konstruiert, samt und sonders energetisch am obersten Level und akkurat in der Phrasierung, das würde den Eintrittspreis allein schon lohnen. Daneben agiert mit „Sandi“ Kuhn endlich wieder einmal ein Tenorsaxofonist mit „Körper“, will heißen, mit einem vollen, robusten, wuchtigen Ton. Wenn sich die beiden Bläser im Unisono zum Power-Pack verschränken, wenn Drummerin Mareike Wiening dann noch ihre mal enorm druckvollen, dann wieder dezenten Fills beisteuert und Joel Lochner seinen warmen Basston drunter schiebt, dann scheint es, als ob jedes Stück die Flügel ausbreitet und zu segeln beginnt.
Die Nummern aus Lees Feder tragen Namen, bei denen das Gefühl überall durchschimmert und plastisch die Stoßrichtung vorgibt: das freudige-tanzende Heimkehr-Ode „Korea, Here We Come“, das sympathisch-chaotische „A Journey Of Nonsense“, das hibbelig-unweihnachtliche „2nd“, das sie für den Zweiten Advent komponierte, oder das lebensbejahende „For Today“, in dem vor allem die Pianistin ihre technische Brillanz und stilistische Eigenständigkeit eindrucksvoll unter Beweis stellt. Es kommt tatsächlich auf den Tag an, und an diesem hatten Gee Hye Lee und die Ihren wirklich einen der Güteklasse „Sahne“ erwischt. Der durfte dann für das „Trio Plus“ scheinbar kein Ende nehmen: Noch weit nach Konzertende, als das restlos begeisterte Publikum längst gegangen war, spielten sie im leeren Hofapothekenkeller einfach weiter. Weil es auch Musikern manchmal richtig Spaß machen kann!
Donaukurier | Karl Leitner
Manchmal muss man einfach nur Dusel haben, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und Zeuge einer Situation sein, aus der heraus sich etwas wirklich Großes entwickeln könnte. Wer an diesem Abend im Birdland anwesend ist, sei es aus Zufall, aus Intuition oder weil ihm bereits beim Studium des Programmhefts derartiges schwante, könnte zu den Glücklichen gehören.
Die Pianistin Gee Hye Lee, der Kontrabassist Joel Locher und die Schlagzeugerin Mareike Wiening, die seit etlichen Jahren das Gee Hye Lee-Trio bilden, haben sich mit dem Tenorsaxofonisten Alexander „Sandi“ Kuhn und dem Trompeter Jakob Bänsch zwei Gäste mit an Bord geholt, das im März erscheinende Album „Encounters“ eingespielt und stellen es nun der Öffentlichkeit vor. Unter anderem im Birdland.
Fünf Bandleader, jeder für sich mit etlichen eigenen Veröffentlichungen im Gepäck, jeder auf dem besten Weg sich auch als Solist einen Namen zu machen, Musiker und Musikerinnen mit Lehraufträgen und Engagements in etlichen anderen Bands. Die fünf sind trotz ihres jugendlichen Alters – das Riesentalent Bänsch ist einen Tag vor dem Konzert gerade mal 22 geworden – längst keine Unbekannten mehr in der deutschen Jazzszene. Dass sie auch fünf Seelenverwandte, musikalische Freunde sind, wird schnell klar. Bänsch, von dem der New Yorker Kritiker Bill Milkowski sagt, er sei „eines der vielversprechendsten Talente seit Wynton Marsalis“, und Mareike Wiening, die auch schon in der Carnegie Hall auftrat und zusammen mit Eva Klesse die Riege junger Jazz-Drummerinen hierzulande anführt, agieren am auffälligsten, die Kollegen Locher, einer der gefragtesten Tieftöner der Szene, und Kuhn, der mit „Sangee“ und seinem warmen Ton die schönste Ballade des Abends beisteuert, folgen ihnen auf dem Fuß. Die Chefin am Flügel ist zwar bis auf zwei Standards für den kompletten Inhalt des künftigen Albums und damit des Konzerts verantwortlich und lenkt diesen denkwürdigen Abend, gesteht als Prima Inter Pares der Band jedoch alle Freiheiten zu. Ein kluger Schachzug, wenn man bedenkt, welche Kaliber da neben ihr noch auf der Bühne stehen. Dennoch bestimmt sie über ihre Stücke, in denen sie gerne kleine Geschehnisse aus dem Alltag akustisch kommentiert, das atmosphärische Flair. Das Ur-Trio spielt melodischen Jazz, der zugleich tiefgründig, leicht und schwebend wirkt, der von den Bläsern aktuell aber auch mal „aufgemotzt“ wird und dann an Fahrt aufnimmt. So wie etwa bei „Korea, Here We Come“ und „For Today“, während „A Letter To Her“, das Lee im Andenken an ihre Mutter geschrieben hat als intime Ballade daherkommt und „2nd“, das den 2. Advent thematisiert, mit federndem leichtem Swing-Groove punktet.
Erstaunlich ist, wie in sich geschlossen dieser Fünfer sich bereits in dieser frühen Phase seiner Existenz präsentiert, wie tight die Beteiligten agieren, mit welcher Präzision einer auf den anderen eingeht, wie sehr sich die Abläufe scheinbar wie von selbst entwickeln, auseinander hervorgehen, wie Nahtstellen verwischen, wie gut Lee und ihre Mannschaft aufeinander eingestimmt sind, sich sozusagen blind verstehen. Was für ein Potential liegt in jedem einzelnen dieser Musikerinnen und Musiker und in dieser Band. Wer dieses Konzert miterleben durfte, kann sich wahrlich glücklich schätzen.