Donaukurier | Karl Leitner
Während die einen sich draußen auf dem Karlsplatz auf dem historischen Neuburger Christkindlmarkt vergnügen und versuchen, einen Blick auf den Nikolaus zu erhaschen, wozu der Abend des 6. Dezember ja durchaus geeignet erscheint, strömen die anderen in den gegenüber im Keller der ehemaligen Hofapotheke beheimateten Birdland Jazzclub, um dort „Santa Claus is Coming To Town“ zu lauschen, das Cassa-blanka dort als zweite Zugabe ihres mittlerweile zur Tradition gewordenen Vorweihnachtskonzerts ausgewählt haben. Santa Claus zu Gast beim Nikolaus also und amerikanischer Jazz in bayerischen Advent.
Der Club ist bis auf den letzten Platz gefüllt von Menschen, die sich in der Hektik vor dem Fest gerne eine Auszeit nehmen, alten Jazz lieben oder auch nur einfach eine Musikerin oder einen Musiker persönlich kennen, denn die kommen allesamt aus der Stadt selber oder dem Umland und die hohe Qualität ihrer Auftritte in den letzten Jahren hat sich herumgesprochen. Wie stets beginnt die Band als Septett mit Dixieland, Ragtime und New Orleans Jazz und geht dann kurz vor der Pause über auf Swing und Bebop, stöbert im Repertoire der einstigen Big Bands und in den Archiven der Broadway-Komponisten. Zu diesem Zeitpunkt ist man schon zu neunt, hat die Kern-Band mit Alexander Großnick (Tenorsaxofon, Klarinette), Nils Niermann (Alt- und Baritonsaxofon, Klarinette), Gerhard Hörmann (Trompete), Christian Rehm (Posaune,), Renate Hörmann (Kontrabass), Brigitte Pettmesser (Klavier) und Florian Herrle (Schlagzeug) erweitert um die Sängerin Sylvia von der Grün und Peter von der Grün am Altsaxofon. Und hat damit auf die eher zurückhaltend interpretierten Stücke wie „The Sheik Of Araby“ und „Ain’t Misbe- havin’“ vor der Pause noch eine Schippe draufgelegt. John Klenner’s „Just Friends“, George Gershwin’s „Fascinating Rhythm“, Charlie Parker’s „My Little Suede Shoes“ und Jimmy Van Heusen’s „Come Fly With Me“ wirken ungleich spritziger und der den Big Bands näher stehende Sound tut der Band gut.
Cassablanka schaffen es wieder einmal, Kontakt zum Publikum herzustellen, obwohl sie sich diesbezüglich mitunter selbst das Leben schwer machen, weil sie sich mit den Ansagen zwischen den Songs doch recht viel Zeit lassen und zulassen, dass die musikalisch erzeugte Spannung immer wieder unnötig absackt. Informationen über die Songs sind bereichernd, ganz klar, aber „Georgia On My Mind“, „Fly Me To The Moon“ oder „It’s Wonderful“ muss man eigentlich nicht mehr eigens ankündigen.
Nationale Jazz-Größen und internationale Stars aus allen Kontinenten sind das Aushängeschild des Birdland Jazzclubs. Ebenso wichtig ist Manfred Rehm, der die Bands nach Neuburg holt, aber auch die Szene vor Ort. Deswegen steht ein Großteil des Dezember-Programms auch unter dem Motto „jazz regional“. Freilich werden es die wenigsten der Künstler, die unter dieser Überschrift im Birdland auftreten, in die Bildergalerie der Stars schaffen, die in den Räumen des Clubs die Wände ziert, aber das ist unerheblich. Wenn sie gut genug sind, können sie in einer weithin bekannten Location mit exzellentem Ruf auftreten, was für die Band-Vita ja alles andere als schlecht ist. Cassablanka sind gut genug. Seit Jahren bereits und auch diesmal wieder. Wie sie es immer wieder schaffen, den alten Stücken ihren Stempel aufzudrücken, hat Stil und ist aller Ehren wert.
Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
Es ist eine Ehre, in den heiligen Hallen des international renommierten Birdland Jazzclubs als regionale Gruppe auftreten zu dürfen. Mit dieser Bemerkung lag Bandleader Alexander Großnick von Cassablanka ziemlich richtig. Noch mehr als eine Ehre ist es eine Herausforderung. Die Akteure werden zwar nicht mit sonst gastierenden Stars aus New York, London oder Paris verglichen – etwas Besonderes bieten sollten sie aber schon.
Die achtköpfige Band Cassablanka und die beeindruckende Sängerin Sylvia von der Grün haben diese Aufgabe insgesamt mit Bravour gemeistert. Es war nicht der erste Auftritt der Formation im Birdland Neuburg, aber vielleicht der reifste. Der Sound von Cassablanka mit den fünf Bläsern und der Rhythmusgruppe aus Bass, Schlagzeug und Piano kommt profiliert und mit Charme über die Rampe. Im ersten Set brauchen die hoch engagierten Amateur-Musiker etwas Zeit, um sich frei zu spielen. Aber die in die Nervosität ist bald verschwunden.
Die Klangfarben des Bläser-Quintetts aus Christian Rehm (Posaune), Gerhard Hörmann (Trompete), Alexander Großnick (Saxofon/Klarinette), Nils Niermann (Saxofon/Klarinette) und Peter von der Grün am Altsaxofon entfalten sich schnell in feiner Ausgewogenheit. Das gilt für’s Zusammenspiel in den Dixie- und Ragtime-Nummern genauso wie für die Solopartien in den Sinatra-Songs oder Nummern wie „Georgia on my mind“. Möchte man aus den Solo-Einlagen etwas ein wenig hervorheben, dann die interpretatorisch überzeugenden Beiträge von Gerhard Hörmann an der Trompete und von Peter von der Grün am Altsaxofon.
Das soll die anderen drei Bläser nicht hintansetzen – alle zusammen bieten eine Musik, die der eigentlichen Bedeutung von „Amateur“ gerecht wird. Da sind Leute am Werk, die wirklich lieben, was sie tun – und die wissen, dass über diese einfache Grundmotivation hinaus viel Arbeit, Disziplin und am Ende auch eine Portion Mut nötig sind, um ein solches Niveau zu erreichen.
Nicht wenig trägt dazu die Rhythmusgruppe mit Brigitte Pettmesser (Piano), Renate Hörmann (Bass) und dem Schlagzeuger Florian Herrle bei. Sie sind zwar hinter der Bläserreihe kaum zu sehen, aber dafür umso angenehmer zu hören. Dieses Trio schenkt den Mitstreitern an Posaune, Trompete, diversen Saxofonen und Klarinetten ein bombensicheres Fundament für deren anspruchsvolle musikalische Aufbauten.
Zum Beispiel in der Nummer „Perdido“ (was so viel wie verloren bedeutet). Da sind die Saxofone von der Bariton- bis zur Tenorlage richtig gefordert, technisch und musikalisch. Wie Alexander Großnick, Nils Niermann und Peter von der Grün diese Klippen meistern, verdient Respekt. Aufgeschmissen war da keiner, die Risikofreude wurde belohnt.
Die stärksten Eindrücke dieses Konzertes steuerte freilich das schönste „Instrument“ bei, das es wohl gibt: die menschliche Stimme. Sylvia von der Grün hat als Sängerin mit Cassablanka schon öfter überzeugt, aber diesmal war sie in vielen Passagen hinreißend. Ihre Altstimme hat Charakter, Volumen, elegante Kraft und ein Espressivo, das unmittelbar berührt. Der Song „How high the moon“, so etwas wie die Erkennungsmelodie der großen Ella Fitzgerald, der Jazz-Klassiker „Just friends“ oder die bejubelte Zugabe „Santa Claus is coming to town“ wurden so zum Erlebnis. Charmanter Sound einer kleinen Bigband und eine famose Sängerin als Glanzlicht darüber. Mehr kann man kaum erwarten.
Donaukurier | Karl Leitner
Es gibt Musiker, die sind immer präsent, werden aber dennoch gerne übersehen. Klaus Ignatzek, Pianist, Komponist und Dozent, hat 65 Aufnahmen unter eigenem Namen mit nahezu 300 Stücken veröffentlicht, ist auf Alben von Dave Liebman, Joe Henderson und Roman Schwaller zu hören, stand aber im Rampenlicht nie ganz vorne. Obwohl er dort eigentlich hingehörte, ist er doch einer der besten Jazzpianisten hierzulande.
Nun ist der mittlerweile 70-jährige nach längerer Pause wieder mal im Birdland Jazzclub in Neuburg zu Gast, hat mit Florian Trübsbach am Tenor- und Sopransaxofon, Sven Faller am Kontrabass und Christian Schoenefeldt am Schlagzeug eine mit absoluten Könnern besetzte Band mitgebracht und ist – was sich auch beim Konzert niederschlägt – ein Paradebeispiel für einen Künstler, der gerade „einen Lauf hat“. Innerhalb der letzten zwei Wochen habe er, wie Kollege Faller erzählt, mal eben 14 neue Stücke geschrieben, mit seinem Quartett einstudiert, auf Band eingespielt und für die Veröffentlichung auf CD vorbereitet. Ein Kreativschub sonders gleichen und eine wahrlich reife Leistung wenn man bedenkt, dass selbst einer wie er ja zwischendurch auch essen oder schlafen muss. Dass die Neukreationen die Setlist für diesen Abend in Neuburg bestimmen würden, war klar, dass es sich dabei ausnahmslos um Hochkaräter handeln würde, vorab nicht unbedingt.
„Arrival“, „Understatement“ und „It Will Happen“, das für den langjährigen Pianisten der Pat Metheny Group geschriebene „Lyle Mays“, der Jazz-Walzer „K.I.“ und „Happy in SAD“, was nichts mit einem Widerspruch in sich zu tun hat, dafür um so mehr mit Schwandorf in der Oberpfalz, wo die Studiosessions stattfanden. Die „Ballade No.2“ mit ihrer wunderschönen Melodie, die aus einer Traumwelt herüber zu tönen scheint, ist so neu, dass sie noch nicht mal einen richtigen Titel hat, und das mit einem echten Monsterthema ausgestattete und ein wenig an Wayne Shorter erinnernde Stück kurz vor der Pause heißt – zumindest so lange, bis seinem Schöpfer etwas besseres einfällt – schlicht „Neuer Swing“. Am Flügel ist Ignatzek ist ein Alleskönner. Dass er mal bei Richie Beirach und Herbie Hancock studiert hat, hat sich in seinem Spiel niedergeschlagen. Dennoch hat er auch ein typisches Markenzeichen, diese rasend schnellen Tonketten nämlich, die er über seine rechte Hand immer wieder in seine Soli einbaut. Trübsbach mit seinem direkten, straighten und kraftvollen Ton ist der ideale Partner bei den nicht selten dem Soul-Jazz nahestehenden Kompositionen, die durch die enge Linienführung der Solisten auf der Basis stets nachvollziehbarer Harmonien niemals an Drive verlieren. Ja, es ist durchaus eine Menge Zug drin in dem, was die stringente Backline als Basis vorgibt, und dem, was die Herren am Klavier und am Saxofon darauf aufbauen.
In den frühen Neunzigern war Ignatzek öfter mal zu Gast im Birdland, auch im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent der Neuburger Sommerakademie, dann wurden die Abstände immer größer. Und so ist sein Gastspiel in Neuburg auch so etwas wie eine Rückkehr an eine alte Wirkungsstätte und ein Wiedersehen mit guten Bekannten. Nie verschollen, nie vergessen, aber eben lange Zeit nicht wirklich vor Ort. Kein Wunder bei jemand, dessen Terminkalender rappelvoll ist, weil er gerade mal wieder „einen Lauf hat“.
Donaukurier | Karl Leitner
Gerade mal vor einer Woche feierte die Band Pure Desmond im Rahmen des 14. Birdland Radio Jazz Festivals den 100. Geburtstag von Paul Desmond, nun richtet eine international besetzte All Star-Truppe die Feierlichkeiten für Thad Jones aus, der zwar bereits im März letzten Jahres das Jahrhundert vollendet hätte, eine Würdigung aber auch mit leichter Verzögerung verdient hat. Die Verspätung dürfte dem Umstand geschuldet ist, dass nicht einmal ein umtriebiger Organisator wie Bernd Reiter eine hochkarätige Besetzungsliste wie diese einfach mal so auf die Minute genau aus dem Hut zaubern kann.
Zusammen mit seinem österreichischen Landsmann Oliver Kent am Flügel stehen neben ihm selbst am Schlagzeug Joe Magnarelli aus Syracuse, New York (Trompete, Flügelhorn), Dick Oatts aus des Moines, Iowa (Altsaxofon), Gary Smulyan aus New York City (Baritonsaxofon) und der kanadische Kontrabassist Neil Swainson aus Victoria, B.C. auf der Bühne, legen sich beim letzten Gig ihrer zweiwöchigen Europatour mächtig ins Zeug, im Gepäck richtig viel Lust auf die kommenden 140 Minuten hier im Birdland und unter dem Titel „Thad Jones Centennial“ eine brandneue CD mit all den Stücken, die die Handschrift Jones’s als Komponist oder Arrangeur tragen und das Gerüst der beiden Sets bilden.
Das Konzert ist geprägt von Spielfreude, Spritzigkeit, jeder Menge persönlicher Ideen, die sich so herrlich verbinden lassen mit denen, die Thad Jones einst hatte, als er für Count Basie, Duke Ellington, Thelonious Monk und seine eigene Thad Jones/Mel Lewis Big Band spielte, schrieb und arrangierte. „The Interloper“, „Three And One“, „April In Paris“ und „Love Walked In“ stehen auf der Setlist, dauern teils bis zu 15 Minuten, weil jeder der Musiker in den Soli, die man als Zuhörer – so man will – so wunderbar „mitdenken“ kann, immer wieder neue Geschichten zu erzählen hat. Spannende, witzige, lebensfrohe und melancholische.
Wie die Bläser angesichts Burt Bacharach’s „Wives And Lovers“ Jones’s sensationelle Arrangements geradezu in den Saal feuern ist schon denkwürdig, den nachhaltigsten Eindruck aber hinterlassen wieder einmal die Balladen, bei denen sich wie immer am eindrücklichsten offenbart, was eine Band wirklich auf dem Kasten hat. Mit „A Child Is Born“ vor und „Stardust“ nach der Pause gelingen dem Sextett absolut großartige Momente. Man fühlt einerseits die Kraft und die Intensität hinter diesem Ensemble, aber auch dessen Gespür dafür, wie man mit deren Hilfe Nuancen kreiert. Man setzt auf Zwischentöne, nicht auf Vollgas Hurra! und Volle Kraft voraus! – Was für eine schöne Idee, dem großen Thad Jones zum Geburtstag zu gratulieren und das auch noch auf so originelle und beeindruckende Weise.
Jubiläen wie diese kommen natürlich beim Publikum bestens an. So auch dieses. Man muss sich nicht um die Organisation und den Ablauf kümmern, bekommt absolute Hochkaräter geboten und kann sich einfach hinsetzen und sie genießen. Und das an einem ganz normalen Freitagabend quasi vor der Haustüre. Das könnte man öfter haben. Kann man wohl auch, denn zum Glück würde im August nächsten Jahres Oscar Peterson hundert. Der hat ja eine ganz besondere Verbindung zum Birdland in Neuburg und es wäre schon sehr verwunderlich, wenn sich dieses Ereignis nicht im Jahresprogramm des Jazzclubs für 2025 niederschlagen würde.
Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
Die überregionale Strahlkraft des Birdland Jazzclubs wird einmal im Jahr besonders deutlich, nämlich dann, wenn in der Neuburger Altstadt von Oktober bis Ende November die großen Sendewagen des Bayerischen Rundfunks (BR) vor der Hofapotheke parken, um im angrenzenden Jazzclub das „Birdland Radio Jazz Festival“ aufzuzeichnen und es mit einer gut vierstündigen Livesendung abzuschließen. Bei der jüngsten Programmreform der ARD-Rundfunkanstalten kam das Festival zum Glück nicht auf die Streichliste – im Gegenteil! Teile der gestern am frühen Morgen zu Ende gegangenen 14. Auflage der Jazzkonzerte „made in Neuburg“ werden in den kommenden Wochen sogar deutschlandweit ausgestrahlt. Ein unschätzbarer Multiplikator, wie man ihn sich für das Renommee einer Stadt, die Kultur auch als touristischen Faktor versteht, eigentlich nur wünschen kann.
Auch diesmal gab es wieder acht durchwegs gut besuchte bis ausverkaufte Konzerte und begeisterte Reaktionen. Dennoch gehört die Zahl der politischen Mandatsträger, die über die Verteilung öffentlicher Gelder entscheiden und dem Festival als Zuschauer die wertschätzende Ehre geben, auch 2024 längst zur traurigen Realität: Null! Dabei verorten andere, wie BR-Redakteur Uli Habersetzer, das Birdland schon seit langem in der „Weltliga“ – ein Verdienst von Clubchef Manfred Rehm. Es sei ein wahres Juwel, um das die Stadt viele andere Kommunen beneiden, schwelgte sein Kollege Roland Spiegel in der dreieinhalbstündigen Livesendung, die Samstagnacht ab 22.30 Uhr aus dem Obergeschoss der Hofapotheke auf den Programmen Bayern Klassik und Bayern 2 über den Äther ging. „Der Gewölbekeller mitten in der historischen Altstadt ist einer der schönsten Spielorte für Jazz – und einer der verlässlichsten“, so Spiegel. Was auch der Endspurt des 14. Birdland Radio Festivals – wenig überraschend – wieder eindrucksvoll unter Beweis stellte. Zum Finale der acht gerade wegen ihrer programmatischen Vielfalt grandiosen Konzerte, bei denen jeder Abend ein Highlight für sich darstellte, standen drei Bands bei jeweils vollen Häusern stellvertretend für die ganze Farbenpracht und Schönheit des Jazz.
Es mag auch der Reiz des Unbekannten sein, des bisher noch nicht Gehörten, wie beim Birdland-Debüt der in London lebenden nigerianischen Altsaxofonistin Camilla George, der einem Besuch im Keller den ganz besonderen Zauber verleiht. Die 36-Jährige mischt ihrer Performance unaufdringlich, aber unüberhörbar eine klare politische Botschaft bei. Dabei serviert sie ein pulsierendes Gebräu aus Groove, Afrofuturismus und Hip-Hop und besticht durch ihr unglaublich kraftvolles, ideenreiches Spiel. Radikal in der Aussage, vermittelnd im Kontext: Wenn George Titel wie „Abasi Enyong“, „How Nehemiah Got Free“ oder „The Most Useful Slave“ präsentiert, ist das kein überfallartiges Ego-Statement, sondern eine einladende Botschaft. Ihre organisch aufeinander abgestimmte Band fräst sich durch die Themen wie ein mächtiger Pflug, legt aber dabei eine erstaunlich akkurate Detailschärfe an den Tag. Über allem thront Camilla George mit ihrem robusten, klaren, kompromisslosen Ansatz, den sie mit großer Luft auf verblüffende Weise zu fließenden, fast weichen Konturen verbindet. So viele Bravo-Rufe gab es im Birdland schon lange nicht mehr!
Nochmal ein Altsaxofon, diesmal allerdings mit Lorenz Hargassner von einem Mann bedient, gibt es tags darauf beim Auftritt des Quartetts Pure Desmond. Dabei steht, wie der Name schon verrät, die Musik des Dave-Brubeck-Kumpels Paul Desmond, der am Montag, 25. November, 100 Jahre alt geworden wäre, im Mittelpunkt. Der in Hamburg lebende Österreicher führt im Stile eines Moderators durch die Lebensgeschichte Desmonds, kurzweilig, launig, anregend. Dazwischen serviert er mit seiner Combo musikalische Häppchen aus dem Fundus des Meisters. Die schmecken cool, manchmal auch süffig wie ein trockener Martini: „Line For Lyons“, „Bossa Antiqua“ oder das neblig-gehauchte Saxofon-Solo in „Scarborough Fair“, bei dem Hargassner zeigen kann, wie meisterlich er sein Instrument beherrscht. Natürlich gibt es auch „Take Five“, den von Paul Desmond komponierten, größten Jazz-Hit aller Zeiten – ohne Piano zwar ein wenig drucklos, aber für das Publikum ein Wohlfühlmoment. Eine populäre Geburtstags-Hommage auf dem Ticket eines Jazzstars, das Allermeiste eng am Original angelehnt. Selbst der Sound des Altsaxofons.
Jung, frisch und voller Elan dann der am Samstagabend live übertragene Schlussakkord durch das Quartett des Münchner Pianisten Luca Zambito. Eine in sich stimmige Viererbande, die ihre ansteckende Spiellust, ihre kollektive Energie und ihre fröhliche Selbstverständlichkeit in aufregende kompositorische Landschaften umzuwandeln versteht. Diese tragen obskure Titel wie „Verschlimmbesserung“ oder „Solarsturm“, überraschen aber durch ihre Zugänglichkeit und kommen trotz vieler harmonisch-rhythmisch strukturierter Passagen sowie des freien Zusammenspiels auf den berühmten Punkt. So soll Jazz 2024 klingen! Und bitte auch beim 15. Birdland Radio Jazz Festival im kommenden Jahr. Zum kleinen Jubiläums wird es, so verrät Manfred Rehm in der Livesendung, um den legendären Pianisten Oscar Peterson gehen, der 1991 die Vorauswahl für den Bösendorfer-Flügel im Hofapothekenkeller traf.
Donaukurier | Karl Leitner
Es gehört mittlerweile zur Tradition des alljährlich in Neuburg stattfindenden Birdland Radio Jazz Festivals, dass Clubchef Manfred Rehm, dessen Erfinder, für den Abschlussabend eine Band engagiert, die das Talent dazu hat, sich in der Jazzszene einen Namen zu machen, sich dort zu etablieren und sich auch international Gehör zu verschaffen. In den vergangenen Jahren hat er dabei schon oft den richtigen Riecher bewiesen, etwa mit der Verpflichtung des Quartetts von Eva Klesse, mit The Real Mob, des Kathrin Pechlof Trios oder im letzten Jahr mit Antina Kontou’s Band Mother. Heuer lernt das Birdland-Publikum das Luca Zambito Quartett aus München kennen.
Und damit gleichzeitig eine Formation, die nur aus Bandleadern besteht, nämlich aus Moritz Stahl (Tenor- und Sopransaxofon), Nils Kugelmann (Kontrabass) und Valentin Renner am Schlagzeug, die sich auf Initiative des Pianisten und Komponisten Luca Zambito zusammengefunden hat, um gemeinsam den Weg nach oben anzutreten. Da kann es nicht schaden, wenn der Bayerische Rundfunk das zweite Set des Abends über BR-Klassik im Rahmen der „Jazznacht extra“ live im Rest der Republik und übers Internetradio weltweit verbreitet, was ebenso Tradition hat und zum Festivalabschluss mit dazu gehört wie die Tatsache, dass es nach Mitternacht auf Bayern 2 weitergeht bis 2 Uhr früh mit Interviews, Hintergrundberichten und Ausschnitten aus den anderen Konzerten, die anlässlich des Birdland Radio Jazz Festivals im Kellergewölbe unter der ehemaligen Hofapotheke oder im Audi Forum in Ingolstadt mitgeschnitten wurden.
Doch so weit ist es noch nicht, als Zambito und seine Kollegen die Bühne betreten und dessen außergewöhnlich vielschichtige Kompositionen zu Gehör bringen. Vertrackt und gleichzeitig geschmeidig, stringent und gleichzeitig verwinkelt, mal wolkig und luftig und gleich darauf mit enormer Bodenhaftung. Zambito verfügt trotz seiner vergleichsweise noch kurzen Karriere bereits über eine eigene kompositorische Handschrift, lässt aber auch Spuren mit einfließen von allen, die ihn geprägt haben. Jazzer wie Elvin Jones in „Nivle“ und Kenny Wheeler in „Wheelin’“, Johannes Brahms in „Tengstraße“, Olivier Messiaen in „Until The End Of Time“. Jedes Stück erzählt eine Geschichte, „Oscar’s Mood“ die über den lieb gewonnenen WG-Hund gleichen Namens und „Solarsturm“ die über akute Schlafstörungen aufgrund unerklärlicher galaktischer Aktivitäten. Was alle Stücke verbindet, ist ihre Frische, ihre atmosphärische Dichte, die immer auch Transparenz und Dynamik zulässt, ideale Ausgangspunkte bietet, die Intensität an- oder bei Bedarf auch abschwellen zu lassen, wodurch das Ganze nie überladen wirkt.
Keiner der Musiker war vor diesem Abend je zu Gast in Neuburg, weder Kugelmann mit seinem Trio noch Renner mit seinem Sextett und auch nicht Stahl, der auch Mitglied der Jazzrausch Bigband ist, mit seinem Quartett. Für jeden der Musiker ist der Auftritt im Birdland das erste Gastspiel in dem Club mit dem legendären Ruf. Und angesichts der erstklassigen Musik und der Begeisterung, die die Band beim Publikum hervorruft, was immer wieder für Szenenapplaus sorgt, waren die knapp zwei Stunden sicherlich nicht die letzten, die sie auf der dortigen Bühne verbracht hat.
Donaukurier | Karl Leitner
Paul Desmond ist derjenige, der 1959 „Take Five“ komponiert hat, die bis heute weltweit meistverkaufte Single des Jazz, die seinerzeit bis auf Platz zwei der US Pop-Charts kam. Am 25. November würde er 100 Jahre alt. Die Band des Altsaxofonisten Lorenz Hargassner, die sich seit fast 25 Jahren unter dem Namen „Pure Desmond“ mit dem Erbe dieses Giganten des Jazz beschäftigt, ist geradezu prädestiniert, in der Reihe der Gratulanten an erster Stelle zu stehen. Erstens, weil Hargassner sich wie kaum ein zweiter auskennt mit allem, was Desmond betrifft, und zweitens, weil er vermutlich dessen größter Fan ist.
Der Abend läuft ab wie eine Art Hörbild. Die Band, zu der Johann Weiß an der Gitarre, Christian Flohr am Kontabass und Ole Seimetz am Schlagzeug gehören, bietet Musik und Informationen, Stücke, die Desmond geschrieben, bearbeitet oder eingespielt hat, Biografisches aus seinem Leben, Anekdoten, Geschichten und Zitate von und über ihn. Wer Desmond näher kennen lernen will, ist an diesem Abend im Neuburger Birdland-Jazzclub genau am richtigen Ort. Man blättert quasi in einer höchst abwechslungsreich gestalteten und inhaltlich erstaunlich umfassenden Biografie aus Wörtern und Noten und die persönliche Recherche mit Hargassner als Guide macht richtig Spaß.
Pure Desmond bleiben recht nah am Original. Das ist Absicht und nicht Ausdruck mangelnder Kreativität. Es geht in erster Linie um den Jubilar und dessen Werk, erst in zweiter um den Laudator. Wobei der freilich den so ungemein weichen, geschmeidigen Ton Desmonds und dessen wunderschöne Melodieführung derart gut hinbekommt, dass man an manchen Stellen fast darüber ins Grübeln kommt, wer da eigentlich spielt. Die beiden Sets des Abends sind mit Akribie konzipiert und klar strukturiert. Der Ablauf der Sets und der Stücke ist fest umrissen, Vortrag und Sound sind makellos. Auch dass das Dave Brubeck Quartett mit Brubeck am Klavier und Desmond am Saxofon seinerzeit der Inbegriff des Cool Jazz war, wird deutlich. „O Gato“, „Gotta Change“, „Line For Lyons“ und „Blue Rondo A La Turk“ tauchten auf der Setlist Desmond’s auf und sind deswegen auch Teil des Programms von Pure Desmond, dazu das unverwüstliche „Moon River“ als Erinnerung an Desmond’s Schwärmerei für Audrey Hepburn, aus der nie etwas Ernsthaftes wurde, und natürlich „Take Five“, bei dem die Band zu einer erstaunlich eigenständigen Variante findet.
Und auch wenn das Konzert ab und zu die Aura des Akademischen umgibt, kommt der Humor nicht zu kurz. Für den ist auch Desmond selbst mit verantwortlich. Der begeisterte Glücksspieler, vor dem kein Geldautomat sicher war, habe, sagte er zumindest, „Take Five“ nach dem Rhythmus der einarmigen Banditen geschrieben und wirklich nur aus dem Grund, das Geld wieder reinzuholen, das er vorher verloren habe. – Ein entspannter, musikalisch gehaltvoller und auch informativer Abend mit tollen Songs, von denen viele längst in den Geschichtsbüchern des Jazz stehen. Und eine ehrliche und – trotz der misslungenen zweiten Zugabe – würdevolle Hommage an einen der ganz Großen des Jazz. Nachdem das Konzert für das 14. Birdland Radio Festival vom Bayerischen Rundfunk mitgeschnitten wurde, ist es dort auch nachzuhören, und zwar am Mittwoch, 11. Dezember, um 19 Uhr auf BR-Klassik.
Donaukurier | Karl Leitner
Mit dem Quartett der aus Nigeria stammenden und im Vereinigten Königreich lebenden Altsaxofonistin Camilla George, einem der derzeit angesagtesten Acts der Londoner Jazzszene, biegt das 14. Birdland Radio Jazz Festival ein in die Zielgerade. Man könnte auch vom Auftakt zu einem „heißen“ Wochenende sprechen und träfe damit voll ins Schwarze, denn obwohl George, Pianist und Stimmakrobat Renato Paris, Kontrabassist Daniel Casimir und Schlagzeuger Rod Youngs sich ziemlich cool geben, legen sie doch zwei Sets mit absolut heißer Musik hin.
Natürlich kommt auch George, in deren musikalischer Sozialisation Nigeria und der Schmelztiegel London gleichermaßen ihre Spuren hinterlassen haben, an Giganten wie Charlie Parker und John Coltrane nicht ganz vorbei, aber sie ist eben auch mit African Highlife und Fela Kuti große geworden, hat später Elemente des Northern Soul britischer Ausrichtung, des klassischen Cool- und Soul-Jazz und des HipHop in sich aufgesogen und ist vor allem auch Botschafterin ihres Volkes, der Ibibio, sieht sich in deren Mythologie ebenso verwurzelt wie in der Musiktradition Westafrikas.
Letztere geht mit all den polyrhythmischen Figuren des Drummers und des Bassisten, mit Paris‘ gescatteten und sparsam mit Klavierakkorden unterlegten Vokallinien und natürlich mit dem sehr direkten Spiel Georges eine Verbindung ein mit dem Sound der Jetztzeit. Auf ihren Alben „The People Could Fly“ und „Ibio-Ibio“ tut sie das mit Hilfe von E-Gitarren, E-Bässen, Bläsern und Keyboards, mit elektrischer Unterstützung also, was ihre Stücke in ihrer CD-Version mitunter durchaus auch in die Nähe des Fusion-Jazz rückt. Im Birdland freilich präsentiert sie „Tappin‘ The Land Turtle“, „The Most Useful Slave“ und „How Nehemiah Got Free“ in akustischem Sound, trägt also der speziellen Akustik und der Größe des Clubs Rechnung.
Wer die Musik Camilla George’s hört, landet unweigerlich bei Begriffen wie Spiritualität oder Mystik. In „Abasi Enyong“ und „Abasi Isang“ geht es um den Gott im Himmel und den Gott der Erde, in „Ekpe“ um eine geheime Parallelgesellschaft in Nigeria und in „The People Could Fly“ um den in einigen Stämmen Westafrikas verwurzelten Glauben an die menschliche Fähigkeit des Fliegens in einer künftig besseren Welt, der sich mit der Sklaverei und der damit einhergehenden Gefangenschaft allerdings zerschlagen hat. Wer über die Musik George’s hinausschaut, der merkt sehr schnell, dass sie trotz ihrer Emigration nach wie vor mit ihrer eigentlichen Geschichte verbunden und politisch motiviert ist. Eine in hohem Maße interessante, mitreißende und höchst kompetent arrangierte Spielart des Jazz trifft auf eine Künstlerpersönlichkeit, die Haltung zeigt und für sie eintritt, die das Essenzielle höher bewertet als vordergründigen Budenzauber, den es mitunter leider ja auch gibt, wenn es um Musik mit afrikanischen Einflüssen geht.
Nachzuhören ist das Konzert des Camilla George Quartets in Ausschnitten am heutigen Samstag im Rahmen der Jazznight aus dem Birdland ab 22.30 Uhr über BR-Klassik und anschließend ab 0.00 Uhr über Bayern 2 sowie am Freitag, 17. Januar, ab 23 Uhr über BR-Klassik.
Donaukurier | Karl Leitner
Die letzte Station auf der sechswöchigen Welttournee des Jeremy Pelt Quintets ist der Birdland Jazzclub in Neuburg. „Die Konzerte in Cincinnati, Vancouver, L.A. und Paris waren nur Übungs-Gigs, um heute gut vorbereitet zu sein“, sagt Pelt mit breitem Grinsen, der sich sichtlich freut, endlich mal wieder hier in seinem „Wohnzimmer“ spielen zu dürfen. Des öfteren bereits war er in Neuburg zu Gast, immer mit unterschiedlichen Musikern, immer mit unterschiedlichen Programmen, anfangs als Geheimtipp an der Trompete, jetzt als Weltstar.
„Und ab die Post!“ Die Band legt los wie die Feuerwehr. Wohin nur mit all der angestauten Energie? Pelt und seine Band setzen sie sofort um in Drive und Power. „Underdog“ und „Afro Futurism“ hätten die Kraft, das Publikum förmlich akustisch an die Wand zu drücken. Zwei Stunden lang so weiter zu machen, wäre freilich dramaturgisch unklug und nicht im Sinne der Dynamik. Immer nur Vollgas, das ginge nicht, wäre auf Dauer sogar eintönig. Deswegen schaltet die Band mit „Lucille“ (O-Ton Pelt: „This is for my girl-friend.“) einen und dann bei „People“, das durch Barbra Streisand berühmt wurde, gleich mehrere Gänge zurück. Mit dem ungestümen „Volle Kraft voraus!“ zu Beginn zeigt sie nämlich nur ein Gesicht von mehreren, mit dieser hinreißenden Ballade ein ganz anderes, eines, das diametral gegenüber liegt, am anderen Ende der Skala sozusagen. Ein sparsames Trompetenintro eröffnet die Nummer, ein spröder Ton voller Verletzlichkeit führt den Hörer ein in eine ganz andere Szenerie und am Ende, nach gut zehn Minuten, steht eine strahlende, messerscharf intonierte Fanfare. Selten wird eine Geschichte, die mit Einsamkeit beginnt und mit Lebenslust endet, schöner erzählt. Mit der Bearbeitung von Marian McPartland’s „There’ll Be Other Times“ gelingt ihm nach der Pause noch einmal ein ähnlicher Wurf, ansonsten verläuft das Konzert „normal“, wobei in diesem Fall „normal“ freilich gleichbedeutend ist mit „überragend“, „hervorragend“ oder „exzellent“.
Das liegt an Pelt selbst, aber auch an seinen Begleitmusikern, allesamt junge Herren – Schlagzeuger Jared Spears ist gerade mal 20 – teilweise von ihm selbst unterrichtet und geformt. Spears, Gitarrist Misha Mendelenko, Leighton Harrell am Kontrabass und vor allem Jalen Baker am Vibrafon hinterlassen einen glänzenden Eindruck, bieten ihm – allen voran Baker – selbstbewusst Paroli und folgen ihrem Chef auf Schritt und Tritt auf seinem Weg zum Legendenstatus, der ihn immer wieder ins Birdland führte – was auch künftig hoffentlich regelmäßig der Fall sein wird. Nach Erscheinen des nächsten Albums vielleicht, dessen Titel noch nicht fest steht, das aber auf jeden Fall im Frühjahr 2025 veröffentlicht werden soll und worauf man sich angesichts des beim Konzert zu hörenden Vorboten „Thirteen Fourteen“ zu recht freuen darf.
Wer sich die Band nachträglich – als Zugabe quasi – ins heimische Wohnzimmer holen möchte, hat zweimal Gelegenheit dazu. Ausschnitte aus dem Konzert sind im Rahmen der „Live-Night“ des Birdland Radio Jazz Festivals am kommenden Samstag, 23. November, ab 22.30 Uhr über BR-Klassik und anschließend von 0.00 Uhr bis 2.00 Uhr Uhr über Bayern 2 zu hören. Zusätzlich sei auf den einstündigen Konzertmitschnitt verwiesen, der am 21. Februar 2025 ab 23 Uhr über BR-Klassik ausgestrahlt wird.
Donaukurier | Karl Leitner
Die Musik des heutigen Abends mit Sylvie Courvoisier und Patricia Brennan, sagt Ulrich Habersetzer, der den Mitschnitt des Konzerts im Rahmen des 14. Birdland Radio Jazz Festivals von Seiten des Bayerischen Rundfunks redaktionell betreut, funktioniere ähnlich einem Reißverschluss, bei dem zwei ursprünglich gegensätzliche Systeme perfekt ineinander greifen und so zu einem geschlossenen Ganzen werden. Was er damit meint, wird bereits bei den ersten Stücken des Abends deutlich.
Etwa bei „Deus Ex Machina“, bei dem der Klang wie eine Welle aus gleißendem Silber aus Brennan’s Xylofon herausfließt und mit dem vibrierenden Flirren, das Courvoisier dem Flügel entlockt, sich verzahnt zu einer vielschichtigen Komposition aus ineinandergreifenden Komponenten, die stets ihre Koordinaten verändern, sich aber zwischendurch immer wieder ohne Nahtstellen absolut passgenau übereinanderlegen. Das hat mit Mathematik zu tun wie so einiges in der Musik an sich, aber eben auch viel mit der Lust auf neue Klangfarben, rhythmische Verwerfungen und auf ein Konzept, das zwar nicht völlig neu, aber alles andere als alltäglich ist, die Kombination nämlich zwischen Klavier und Xylofon und damit zwischen zwei Klangerzeugern, die in der Regel ähnliche Aufgaben übernehmen. Beide sind Harmonieinstrumente, mit beiden spielt man Melodien, Akkorde, Bässe.
Niemand freilich tut dies auf die Weise Courvoisiers, der gebürtigen Schweizerin aus Lausanne, und Brennan aus dem mexikanischen Veracruz, die beide in New York leben, beide ungewöhnliche Spieltechniken bevorzugen, immer darauf bedacht sind, die Klangmöglichkeiten ihrer Instrumente auszuloten und zu erweitern, die experimentelle Seite der New Yorker Jazz-Szene verkörpern wie sonst nur wenige und darauf aus sind, Brücken zu bauen, die ihre Herkunft – Brennan war früher Perkussionistin in einem Orchester, Courvoisier hat ein Studium der Klassik und des Jazz hinter sich – verbinden mit all den Optionen, die sich ihnen aufgrund ihrer Neugier bieten.
Ihr gemeinsames Programm, das sie in Neuburg vorstellen, heißt „Talamanti“. Das Wort steht in einer der vielen indigenen Sprachen Mexikos für zwei Objekte, die sehr ähnlich oder auch sehr gegensätzlich sein können, eine Bezeichnung, die überaus passend erscheint für die beiden Instrumente und auch die beiden Musikerinnen und ihre Vorgehensweisen. Es gibt Sequenzen, in denen beide ihrer Wege gehen, autark, unabhängig, Sequenzen, in denen jede für sich Wege auslotet, neue Regionen erkundet, einen Blick hinein wagt in für sie – und für das Publikum – neue Universen. Und es gibt Momente, in denen, wie von Zauberhand geleitet, sich beider Wege finden, beide Hand in Hand gehen, inniger Konsens herrscht, die Improvisation zurückführt auf vertrautes Terrain.
Talamanti ist keine Musik für nebenbei. Man muss sich schon auf sie einlassen. Gerade das freilich macht den besonderen Reiz aus, sobald avantgardistische Aspekte mit ins Spiel kommen. So wie in diesem Fall. Und den besonderen Reiz auch des Birdland Radio Jazz Festivals, in dem neben all den vielen Varianten des Mainstream und des Modern Jazz auch ganz besondere Spielarten nicht nur möglich, sondern ausdrücklich erwünscht sind. Sendetermin zum Nachhören ist am 24. Januar 2025 um 23 Uhr auf BR Klassik.