Wolfgang Dauner – Albert Mangelsdorff Quartet | 10.09.2004

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wussten Sie es schon? Deutscher Jazz ist Weltklasse! Eigentlich war er das schon immer. Nur hat das Publikum lange Jahre nur allzu gerne verdrängt, dass gerade Albert Mangelsdorff schon in den 60ern der Emanzipation der swingenden Teutonen den Weg bereitete.

Seite an Seite mit Heinz Sauer rang der bedeutendste aller nationalen Jazzmusiker seither erfolgreich ein Vorurteil nach dem anderen nieder. Dass die beiden hessischen Galionsfiguren nun gemeinsam in unmittelbar aufeinander folgenden Konzerten die Herbstsaison im Neuburger „Birdland“-Jazzclub eröffneten, war angesichts der kleinen, aber unverkennbaren Renaissance des Jazz in deutschen Landen ein fast symbolträchtiges Zeichen. Denn vor allem Clubs wie der in Neuburg haben nach Ansicht von Mangelsdorff diese Musikrichtung auch in schweren Zeiten über Wasser gehalten. Ein Grund, warum der 71-jährige Nestor an der Posaune seine Komposition „Danke, Hut ab“ spontan Manfred Rehm, dem „Birdland“-Manager, widmete.

Und zum Wiederbeginn nach fast vier Monaten Pause gab`s von beiden gleich ein Geschenk, das freilich insgeheim sogar erwartet wurde: kreative Explosionen zuhauf auf offener Bühne von erlesenen Instrumentalisten. Mangelsdorffs Quintett etwa, eine Ansammlung von Ausnahmekönnern, von denen jeder selbst längst eine nationale Größe darstellt, lässt fünf Kraftpole, die sich nach zwei Jahren zum ersten Mal im „Birdland“ wieder gegenüber stehen, unvermittelt aufeinander prallen. Das Resultat ist spannender als jedes Fußballspiel: Großes Jazzkino deutscher Machart.

Seit Mangelsdorff, Wolfgang Dauner (Piano), Christof Lauer (Tenorsaxofon), Dieter Ilg (Bass) und Wolfgang Haffner (Drums) 1997 ihre Liäson eingingen, spielen sie die selben Songs. Sie heißen „Elongate“, „Hongkong Fu“ oder „Weed Song“. Doch im gleichen Maße wie sich die Protagonisten verändert haben, veränderte sich auch der Charakter der Stücke. Alles wirkt nun völlig offen, fast metaphysisch, ineinander verschachtelt und dem Augenblick alle Türen öffnend. Warum Mangelsdorff die Fünf als die Besetzung bezeichnet, „mit der ich am allerliebsten spiele“, wird spätestens beim faszinierenden „Wendekreis des Steinbocks“ deutlich.

Ein trudelndes, treibendes Piano-Intro Dauners, dessen Finger wie Spinnenbeine über die Tasten krabbeln, reißt ein klaffendes Loch für Lauers unglaubliches Tenorsax. Ein Ton, gegossen aus Feuer, Anarchie und kluger Struktur, dem Mangelsdorff ungewöhnlich leise, behutsame Posaunen-Kontrapunkte entgegensetzt, während Ilg das Thema mit einem exotischen Muster für ein paar Sekunden sogar auf die Ebene eines Tempeltanzes hievt. Hier darf alles im besten Sinn des Wortes vogelfrei umherschweben. Eine brodelnde Suppe aus Tradition und Moderne, Skalen und Akkordschichtungen, ungeraden Takten und fettem Groove entsteht, die Wolfgang Haffner, Deutschlands wohl vielseitigster Schlagzeuger bindet. Ein wohliges Stahlbad, welches das Publikum nach zwei Stunden einfach mit stehenden Ovationen belohnen muss.