Walter Lang Trio Plays Charlie Chaplin | 07.01.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wer auch immer in Charlie Chaplin lediglich den kleinen Mann mit dem Bowlerhut, dem schwarzen Schnurrbart und dem Gehstock sah, er kannte höchstens einen Bruchteil dieser aussergewöhnlichen Begabung. Der Rest blieb lange im Verborgenen, weil er ganz offenbar nicht zum Klischee des einfältigen Clowns passte. Denn Chaplin war auch Regisseur, Musiker und Komponist. Ein vielseitiger, visionärer und gerade in dieser Hinsicht unterbewerteter Künstler, der im von sozialen und politschen Umwälzungen geprägten 20. Jahrhundert vor allem die menschliche Seite der Muse vertrat.

Fast jeder kennt seine Streifen, aber nur wenige wissen, dass Chaplin zu allen – im Nachhinein auch seinen Stummfilmen – höchstselbst die Musik schrieb. Einfühlsame, starke Themen voller philosophischer Substanz und tiefer Emotionalität, die nun ein deutscher Jazzpianist restauriert hat und ans Ohr der staunenden Öffentlichkeit rückt: Walter Lang. Beim ersten 2000er-Konzert des Neuburger „Birdland“-Jazzclubs tat er dies freilich keineswegs im fröhlich hopsenden Stride-Stil, wie es wohl einige insgeheim von ihm erwartet hatten. Der mit allen internationalen Wassern gewaschene Tasten-Schöngeist näherte sich dem Multitalent vielmehr von einer ganz persönlichen Sicht- und Hörweise.

Die Idee, ausgerechnet Charlie Chaplins weniger bekannter Identität auf die Sprünge zu helfen, entsprang einem durch und durch mitteleuropäischen Jugendtraum. Schon als Bub schwärmte Lang für den grandiosen Komiker, später transkribierte er Melodiefragmente und Songs aus „Goldrush“, „Modern Times“, „Limelight“, „The Kid“ oder „Circus“ und verpasste diesen neue Arrangements. Die faszinierende Essenz dieser langjährigen Obsession bekam nun das Publikum mit Hilfe eines Trios im fast ausverkauften „Birdland“ zu spüren.

Schon nach wenigen Takten wird eines klar: da agiert kein Pianotrio der gewöhnlichen Art. Lang jongliert virtuos an der zerbrechlichen Mentalität Chaplins entlang, skizziert den bewunderten Mimen als feingeistigen Menschen voller Charisma und legt behutsam dessen bittersüße, melancholische Ader frei. Von „Georgia“ offeriert er gleich zwei Versionen: eine im bedächtigen Shuffletempo mit wuchtigen Blockakkorden, hingehauchten Notenwerten, uhrwerkartigen Paukenschlägen des sensibel nuancierenden Drummers Rick Hollander und dumpfen Ostinati des famos intonierenden Bassisten Henning Sieverts. Die zweite kontrastierend als zupackende Bop-Version mit freien Anklängen.

Faszinierend schlicht Chaplins Ballade „Smile“, beklemmend eindrucksvoll die Suite „Falling Star – Interlude“ aus „The Great Dictator“, der Lang noch eine ungewohnte, aber überaus reizvolle eigene Klassik-Komponente mit „Prelude To Lohengrin“ hinzufügt. Konzepte wie diese braucht der Jazz. Unspektakulär, aber anders, mutig und doch vertraut, nicht auf die sichere Standard-Karte setzend, sondern einen völlig abseitigen Joker ziehend. Gerade weil es der boperfahrene Mann am Klavier mit minimalen Strukturen und nuanciertem Anschlag schafft, die ureigene Stimmung jedes einzelnen Titels zu konservieren, entblättert sich langsam deren wahre Substanz: Charles Chaplin als Stoff fürs „Great American Songbook“.