Walt Weiskopf Sextet | 18.04.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Die Heizer kommen! Und sie verheizen gnadenlos alles, was ihnen in die Quere kommt. Volldampf, Power, Energie, stets dicht am Anschlag, die Drucknadel nur ja keinen Millimeter absinken lassen. Ein Leitmotiv, mit dem die Crew des US-Tenorsaxophonisten Walt Weiskopf an jedem Ort der Welt für Aufsehen sorgen würde. Schließlich sehnt die Jazzgemeinde seit John Coltranes Tod geradezu flehentlich dessen fulminante Inbrunst herbei, der das Saxophon sein Klischee als emotionalstes aller Instrumente verdankt.

„Tranes“ grandiose Stilistik, ebenso häufig wie dilettantisch kopiert, scheint durch Weiskopf zwar eine würdevolle Wiederbelebung zu erfahren. Doch was sich schon auf Platten angedeutet hatte, bestätigt sich nun zunehmend bei Livekonzerten. Der 37jährige aus Augusta mag spektakuläre Techniken wie Zirkularatmung, Multiphonics, Überblaseffekte und das ausschweifende Deklinieren der Obertonreihen wie kein zweiter lebender Tenorist zu einem kraftvollen, mächtigen Statement verbinden. Bei allem Verständnis für die Liebe zur Vaterfigur muß sich der Erbe allerdings fragen lassen, ob solche ausschweifenden Performances, wie im Neuburger „Birdland“-Jazzclub, nicht einfach völlig an den Bedürfnissen des Publikums vorbeigehen.

Ein Sextett, mit dem festen Vorsatz angetreten, seinen Spaß zu haben, donnert den Zuhörern von der ersten Sekunde an eruptive Ausbrüche, schrille Synkopen und schrullig-verschachtelten Satzballast um die Ohren. Kein Zweifel: es groovt wie der Teufel, birgt viele interessante Duelle, Überhöhungen und sogar manch überraschende Wendung, auch wenn einige aus der Mannschaft wie Altsaxophonist Andy Fusco oder Drummer Rick Hollander merklich gegenüber ihrem Boß abfallen. Aber selbst den Hitzeerprobtesten dürstet es nach einer guten Stunde bei saunaähnlichen Graden mal nach einer frischen Brise.

Walt Weiskopf freilich bleibt auch nach der Pause konsequent seiner Linie treu und entläßt niemanden aus dem Schwitzkasten. Sogar in der sonst lauschigen Ballade „Come Rain Or Come Shine“ läßt er das Sax lichterloh brennen, feuert zirpende Licks und heisere Schreie ab. Was der elegante Posaunist John Mosca oder Weiskopfs Bruder Joel am Piano mit spärlich gesetzten Lyrismen zu drosseln versuchen, forciert der übermotivierte Leader höchstpersönlich wieder zur wilden Hatz.

In einem überschaubaren Zeitraum läßt sich ein rauschhafter Exzess wie dieser durchaus wie die Fahrt in einer Achterbahn genießen. Wenn Weiskopf freilich über 150 Minuten lang relativ hemmungslos die individuelle Aufnahmekapazität seiner Klientel verschleißt, dann fehlt es dem Oberheizer einfach am gebotenen Gespür für die dramaturgische Darstellung seiner Kunst. Ein Coltrane hätte bei aller Leidenschaft wohl der Gelassenheit und Melancholie eine größere Chance gegeben.