Heinz Sauer Trio | 03.04.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Nun also doch: Heinz Sauer in Neuburg. Um einen der wirklich raren Auftritte der Sphinx der deutschen Jazzszene muß man als Veranstalter buchstäblich kämpfen. Kein Musiker verweigert sich seit geraumer Zeit so kategorisch den Gesetzmäßigkeiten des Business, keiner hat aber auch der modernen Musik in diesem Land zu mehr Prägung verholfen, als der 65jährige Frankfurter.

Schon seine Ansage verheißt Ungewöhnliches. Auf den üblichen CD-Bazar müssen die Gäste des „Birdland“-Jazzclub heute verzichten, weil Sauer meint, daß Konzerte nicht als Verkaufsveranstaltungen mißbraucht werden dürfen. „Hören Sie einfach zu,“ rät der Tenorsaxophonist und spielt drauflos. Töne abseits aller Klischees, Blues, Bebop, Neues, Altbekanntes, Vergeistigtes, Emotionales, Sonderbares, Wunderbares. Seit den Tagen der legendären Albert- Mangelsdorff-Combo agiert er schon nach dem Prinzip des Nonkonformisten, sucht fortwährend unbesetzte Nischen, in denen seine Saat keimen darf.

Am besten gelingt dem Eigenbrötler so etwas in der Nähe von Freunden, wie denen in Neuburg. Seit 1962 kennt man sich. Damals durfte der skurille Soundkonstrukteur im Verbund mit seinem Männerfreund Mangelsdorff die inzwischen 40jährige Jazzgeschichte in der Ottheinrichstadt mit einem aufsehenerregenden Konzert im Stadttheater einläuten. Der Unterschied zum jüngsten Gastspiel liegt allenfalls in der Besetzung und in der Jahreszahl; denn einen Heinz Sauer verbiegen zu wollen, hieße dem Jazz ein Stück seines Herzens und einen Teil seines Gehirns zu entfernen.

Perfekter Energieleiter für die vielen musikalischen Atome: das Trio mit dem amerikanischen Pianisten Bob Degen und dem Kontrabassisten Stephan Schmolck. Da driftet nichts auseinander, nichts bleibt im luftleeren Raum stehen. Es ist die Kultur des subtilen Hinhörens, des gegenseitigen Erahnens, in dem Konsens nicht im Widerspruch zum unverminderten persönlichen Ausdruck steht, in dem sich Stücke nicht nach Tonarten wie F-Minor, sondern nach Farben wie braun, rot, orange oder blau definieren.

Gleichberechtigter Bestandteil dieses Mikrokosmos: Heinz Sauers Tenor- und Sopransaxophon. Manchmal, bei Billie Holidays „Don`t explain“, oder Monks „Awareness“, klingt sein Horn, als wolle er innerhalb eines einzigen Atemzuges, alles, was in ihm steckt, umreißen. Seine globale Vorstellung von Jazz. Oder seinen Tonraum. Für Sauer bedeutet dies keinesfalls, alle Töne wirklich zu spielen. Er deutet nur an, was zu sagen ist und läßt weg, was verzichtbar erscheint. In seinem Spiel feiert eine alte Tugend Auferstehung: Lakonie, keine Licks, keine Formalitäten, kein Repertoire- und Bildungsballast. Dafür Melodie, Ausdruck und Formstrenge.

Das Frappierendste an diesem Musiker ist jedoch sein einzigartiger schreiend-zerrender Ton im Überblasbereich, im Jazz normalerweise ein Ausdruck von Ekstase oder das von vielen so gehaßte Free-Chaos. Doch wann hat man je so beiläufige, gläsern spröde, hauchzarte, verlorene, menschliche Klänge, so viele heisere, leise, dringliche, in fließende Bewegungen ohne Eile übergehende Fragen gehört? Auch wenn die Resonanz im „Birdland“ für den Künstler beinahe verletzend dürftig ausfiel: Heinz Sauers Darbietung bleibt in ihrer Tiefen- und Langzeitwirkung konkurrenzlos.