Jerome Richardson Quintet | 27.03.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Das Alter als Qualitätsgarant: was für den Wein gilt, muß nicht automatisch auch bei Jazzmusikern funktionieren. Selbst wenn über diesen Künstlerschlag immer die Mär geht, sie würden spielen, bis sich der Sargdeckel schließt, so existieren doch genügend warnende Beispiele dafür, wie sich Denkmäler selbst demontieren, nur weil sie ihren Zenit und den richtigen Zeitpunkt des Abtritts längst verpasst haben.

Vielleicht liegt der Fall bei Neuburgs jüngsten „Birdland“-Gast Jerome Richardson gerade deshalb anders, weil das brutale Ellenbogen-Business diesem freundlichen, über jedes Promotion-Zugeständis erhabenen Gentleman aus Oakland bislang gar keinen Zenit gönnte. Richardson trat in seiner immerhin schon 55jährigen Laufbahn allenfalls als Solist in den großen Jazzorchestern von Count Basie, Quincy Jones und Gil Evans oder als Begleiter weltbekannter Vokalisten wie Sammy Davis jr. oder Ella Fitzgerald in Erscheinung. Dies tat er freilich so überzeugend, daß ihm seither hinter vorgehaltener Hand der Ruf eines Vorreiters für den Cooljazz an der amerikanischen Westküste anhaftet.

Heute, mit 77 Jahren, geht es Richardson wie einem gut gelagerten kalifornischen Tropfen: er ist begehrt wegen seines reifen Bouquets, geliebt wegen seiner prickelnden Frische und populär wegen seines persönlichen, unorthodoxen Flairs, das eigentlich kaum mit Konkurrenzprodukten – selbst jüngeren Datums – verglichen werden kann. Um den jahrzehntelang sorgsam versteckten Geheimtip endlich „on stage“ erleben zu können, gab es Reservierungen aus dem gesamten süddeutschen Raum. Ein Zeichen auch, wie wenig sich gerade Jazzfans von marktschreierischen Trends beeinflussen lassen.

Jerome Richardson steht nicht etwa für plätschernden Altherren-Swing, sondern für eine höchst eigenwillig interpretierte Summe an Erfahrungen. Allein die Besetzung der Band symbolisiert mit zwei Harmonieinstrumenten (Gitarre und Piano) zwar Crashgefahr total. Doch den programmierten Konflikt münzt der Leader verschmitzt-clever in produktive Spannung um. Anthony Purrone, sein kongenialer Saitenpartner, spinnt kreiselnde Unisonolinien mit dem Saxophon oder darf mit schwindelerregenden, kunstvoll konstruierten Soli, die schlechterdings zu den besten bislang im „Birdland“ überhaupt dargereichten Gitarrenbeiträgen zählen, glänzen.

Derweil müssen David Hazeltines Tasten schweigen – leider ein wenig zu oft für diesen durchaus interessanten Mann am Klavier, der seine harmonisch schlüssigen Akkorde nur dann anbringen kann, wenn die Gitarre sich auf den Part des zweiten Bläsers reduziert. Aber eine solche Rezeptur, zu der selbstredend die komplexe Rhythmusbasis von Drummer Joe Farnsworth und Bassist Paul Imm gehört, wirkt wie eine sorgsam abgestimmte Aura zur Erweckung der Lebensgeister eines eigentlich Totgesagten.

Der lyrisch-gehauchte Flötenton des „Unsung Hero“ sowie dessen kantig-rauhe, oft kontrapunktisch gesetzte Alt- und Sopransaxlinien wirken in der von Richardson so heißgeliebten Ellington-Ballade „In A Mellow Tone“ oder der hinreißenden Zugabe „God Bless The Child“ (im Duo mit Hazeltine) gar noch mehr wie ein modernes, zeitgemäßes Unikat, als in den Eigenkompositionen „Gumbo Robo“ oder „Midnight Strut“. Wer also ganz ohne Vorurteile den Inhalt solcher „Ladenhüter“ prüft, der erlebt wie im Hofapothekenkeller mitunter eine Überraschung von extremer Sinnlichkeit.