Wallace Roney Quintet | 17.03.2018

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Wallace Roney und die Veränderungen. Vor einigen Jahren, als der Weltklasse-Trompeter noch in einer tiefen Sinnkrise steckte, die auch der übergroßen Erwartungshaltung als Miles Davis-Erbe geschuldet war, frönte er noch relativ panisch dem Fusionjazz: rockig, bretternde Rhythmen, breiig und vor allem laut. Jetzt, mit 57, erleben seine immer noch zahlreichen Fans im restlos ausverkauften Neuburger „Birdland“ einen anderen, runderneuerten Roney. Zwar immer noch am oberen Toleranzlevel des Zumutbaren für die Ohren, aber wieder deutlich Richtung „echten“ Jazz gewandt. Und während er seine aktuelle CD mit alten Weggefährten wie Gary Bartz, Buster Williams und Lenny White einspielte, darf nun auf der Bühne des Hofapothekenkellers eine hochmotivierte, talentierte Schar von Jungspunden nach Herzenslust nach dem musikalischen Stein der Weisen suchen.

Sie fräsen akustische Schneisen durch das historische Gewölbe, manchmal etwas eindimensional strukturiert, aber allzeit heftig groovend. Und vor allem laut und bisweilen rasend schnell. Derweil steht der Meister selig lächelnd in der Ecke und betrachtet durch seine Sonnenbrille das Treiben der Burschen, stolz wie ein Vater seine Söhne. Weil Geschwindigkeit für das Quintett um den knabenhaften, aber durchaus interessanten Tenor- und Sopransaxofonisten Emilio Modeste, den etwas unentschlossen zwischen offenen Blockakkorden und swingenden Stride-Läufen hin und her wippenden Pianisten Oscar Williams, den lärmenden Drummer Eric Allen und „Senior“ Curtis Lundy am tief perlenden Kontrabass zwar nicht alles, aber eine ganze Menge ist, geraten einige Themen zu einem regelrechten „Catch-as-catch-can“.

Vor allem „Lʼs Bop“ unmittelbar nach der Pause mutiert zu einer Tempohatz ohnegleichen, bei der es offenbar um einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde geht, wie viele Noten man in einer Minute überhaupt spielen kann. Die Fünf doppeln den eh schon rasanten Affenzahn des Bebop sogar, das Resultat ließe sich auch als eine Art „Bebop-Punk“ umschreiben. Die Tonleiter rauf und wieder runter, keine Atempause wird gemacht: Das Publikum findetʼs Klasse. Auch Balladen wie „Air Dancing“ klingen nicht unbedingt leicht und schwerelos, sondern transportieren eher das wuselnde Feeling einer hektischen, nächtlichen Großstadt, die nicht zur Ruhe kommen will.

Dass Wallace Roney 2018 aber immer noch eine der wichtigsten Trompetenstimmen der Gegenwart sein kann, beweist er in Neuburg vor allem im zweiten, viel besseren Set. Mit süffigen Glissandi und eleganten Ritten im Obertonbereich, mit scharf schneidenden Phrasierungen, spannenden Lösungen für eigentlich überlange Soli und vor allem sprichwörtlich mit einem langen Atem überrascht der Star des Abends all jene, die ihn schon in die hinterste Ecke des Jazzmuseums abschieben wollten. Vielleicht würde Roney mit einer besonneneren, reiferen Band noch einen Tick heller strahlen. Aber die Frage bleibt offen, weil sein Konzept nun mal bewusst auf Power setzt. Ein echtes Roney-Konzert halt!