Viviane de Farias
Audi Forum Ingolstadt | 28.04.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Gut zu wissen, dass es auch ohne geht. Ohne touristische Folklore, ohne Gassenhauer wie „The Girl From Ipanema“, „Tico Tico“ und „Agua De Beber“, ohne stupides Mitklatschen. Statt dessen lädt Viviane de Farias, die aus Rio de Janeiro kommt und in Deutschland lebt, ihr Publikum ein, zuzuhören, mitzufühlen, höchstens mal mitzusummen. Es ist also auch möglich, sich abseits des Mainstreams zu bewegen, wenn es um brasilianische Musik geht, um Samba, Bossa Nova und Tropicália.
Für „Vivi“, wie sie sich selbst nennt und auch ihr letztes Album betitelt hat, scheint das überhaupt nicht in Frage zu stehen. Natürlich verwendet auch sie Elemente des Pop, des Jazz und ein klein wenig Brazilectro, aber ihre Welt sind weniger die Sambaschulen, der Karneval und der damit verbundene Lärm, sondern eher Antonio Carlos Jobim, Caetano Veloso und Johnny Alf, die chansonartigen Lieder ihrer Heimat, in denen nicht nur der Rhythmus wichtig ist, sondern auch und vor allem die Texte.
„Tristeza“, die Traurigkeit, und „Anseio“ – die Sehnsucht. Diese Schlüsselbegriffe hört man immer wieder heraus aus ihren Texten, auch wenn man kein Portugiesisch versteht. Man muss nur auf die Musik hören, dann spürt man schon, worum es in Liedern wie „Sonnenaufgang“, „Die Stunde der Leidenschaft“ und quasi in Summe in der Eigenkomposition „Meu Balanço“ geht, ums innere Gleichgewicht. Gleich zu Beginn des Konzerts hat „Vivi“ es ja überaus charmant, aber auch deutlich gesagt. „Am wichtigsten ist mir, dass ihr euch heute Abend entspannt, die Magie der Lieder spürt, die Kraft und die Emotionen, die von ihnen ausgehen.“ Damit das möglich ist, bedarf es einer Band, die weiß, wie man sich zurücknimmt. Natürlich müssen die Grooves stimmen – bei brasilianischer Musik ist das unerlässlich – aber sie dürfen nicht die Szenerie dominieren. Kim Barth an der Querflöte und am Altsaxofon und Tizian Jost am Flügel teilen sich die Soli, Eduardo Penz am sechssaitigen E-Bass und Mauro Martins am Schlagzeug finden genau das richtige Maß, um die Szenerie zu bereiten für die wichtigste Person des Abends am Gesangsmikrofon.
„Quero Cantar“ heißt einer ihrer Songs, „Ich will singen“. Über Fragen der Intonation muss man bei ihr nicht groß nachdenken. Die ist ohnehin makellos. Bei ihr geht es vielmehr darum, die Texte zum Blühen zu bringen, die emotionale Botschaft jedes einzelnen Stückes, um Inhalte wie ihre ganz persönliche Sehnsucht nach der Heimat, ihre Lust am Singen und über die Lebensfreude sogar derer, die in den Favelas von Rio oder Sao Paolo leben. Ihre Stimme, die sie durchaus auch mal wie seinerzeit Al Jarreau für ein lupenreines, vom Saxofon gedoppeltes, Instrumentalsolo einsetzt, setzt sie dazu in die Lage.
Es sind die Zwischentöne, die den Abend so reizvoll machen. Man spürt die Glut, die hinter diesen Songs glimmt, bisweilen auch die Flammen, die züngeln, aber die Feuersbrunst bleibt aus. Schließlich bedeutet das Leben nicht immer nur Party, Sonne und Strand. Nicht mal in Rio. Das Leben an sich beinhaltet mehr. Und „Vivi“ ist ja nicht nur eine Kurzform von Viviane, sondern hat auch mit „Leben“ zu tun.