Samara Joy Quartet | 30.04.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Samara Joy ist gerade 24 Jahre jung und zum ersten Mal in Deutschland. „Ich muss das unbedingt meiner Mom erzählen: Neuburg was awesome!“ So steht sie unbekümmert lachend auf der Bühne des Neuburger Birdland-Jazzclubs, die Menschen im bis auf den letzten Platz besetzten Hofapothekenkeller fressen ihr längst aus der Hand, und sie schüttelt immer noch ungläubig den Kopf ob so viel unverhoffter Zuneigung. Als sie gegen Schluss eine butterweiche Ballade intoniert, nur begleitet vom geschmeidigen Bassisten Mathias Allamane, dabei scheinbar mühelos zwischen drei Oktaven hin- und herhüpft, jeden Ton punktgenau trifft, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, und die letzte Zeile gerade wie eine Seifenblase durch das Gewölbe schwebt und verklingt, da ruft einer aus dem Publikum genau das aus, was in diesem Moment wahrscheinlich alle denken: „I love you!“ Samara kichert noch eine Minute später verlegen wie ein kleines Schulmädchen.

Es ist wirklich herzerfrischend, vor allem nach dem klinisch-sterilen Gastspiel eines arrivierten Superstars in der Vorwoche, ja geradezu eine Wohltat, diese hochtalentierte Sängerin bei ihrer Premiere in einem der wichtigsten Jazzclubs Europas erleben zu können. Da singt eine Frau mit so viel ansteckendem Spaß auf eine bemerkenswert reife Art edle Standards aus dem Great American Songbook, verwandelt sie nach nur wenigen Takten flugs in ihre eigenen Songs, segelt wie ein neugieriger Steinadler über die üppigen Harmoniegebirge hinweg und wirkt in ihrem ganzen Tun irgendwie zeitlos. So, wie eine alte Seele in einem jungen Körper, als wäre sie in der Vergangenheit und Gegenwart gleichzeitig daheim, als wäre Samara Joy mit der gesamten Geschichte des Jazz auf einmal verbunden und würde in jeder Ära parallel existieren. Jeder, der Gassenhauer-Themen wie „Moonglow“ kennt und sie längst als traditionell abgeheftet hat, dem macht die junge Vokalistin einen dicken Strich durch die Rechnung.

Joy beherrscht ihr Metier. Mit einem schier unerschöpflichen Energiereservoir offenbart sie die lerchenhafte Zartheit Minnie Ripertons, schüttelt locker das charaktervolle Timbre einer Peggy Lee aus dem Ärmel und haut einfach den innerlich wärmenden Stil Julie Londons mit einem speziellen Faible für besonders feinen Scat raus. Ganz wichtig: Dabei erliegt sie nie der Versuchung, eine ihrer Vorbilder zu kopieren. Samara verfügt längst über ein eigenes, unverkennbares Organ, etwas, das man „Signature Voice“ nennt. Kein Stimmchen – eine Stimme!

Die Sängerin aus der South Bronx in New York navigiert derart souverän durch „Sometimes Today Seems Like Yesterday“ aus der Feder ihres Mentors Barry Harris, jenes legendären Pianisten, der im Dezember vergangenen Jahres mit 92 Jahren starb, dass man jeden Ton inhalieren und dabei wohlwollend prüfen möchte. Delikat, wie sie den ständigen Wechsel zwischen Niedergeschlagenheit und die Hoffnung aufs Liebesglück in ihrem Gesang abbildet. Mal leise, dann wieder mit kräftiger Stimme bemeistert sie die Gefühlsdynamik dieser emotionalen Sturzflut. In ihrer subtilen Art erinnert sie frappierend an Sarah Vaughan – den nach ihr benannten International Jazz Vocal Competition gewann sie 2019 bereits. Eine Reinkarnation Vaughans? Durchaus möglich. Aber warum brauchte es immer solche Vergleiche in dieser Schubladenwelt, wenn Samara Joy selbst in absehbarer Zeit ein neues Jazzkapitel schreibt und diesem Genre eine Zukunft schenkt?

Sie bringt auch das längst vergessene Jazzclub-Feeling zurück ins mittlerweile altehrwürdige Birdland. „Round Midnight“ von Thelonious Monk versetzt die Zuhörer in diesen leicht benebelten Schwebezustand zwischen Wachheit und Müdigkeit, mit dieser Stecknadelstille bei besonders leisen Passagen und dieser drangvoll wärmenden Enge. Fehlen nur noch die Raucherschwaden – Gottseidank! Samara kann dem Publikum inzwischen auch die schwierigsten Scat-Mitsing-Aufgaben stellen – mithilfe ihrer charmanten, ungekünstelten Freunde macht fast jeder mit: „Duwidu-skadabu“ – „Der Birdland Neuburg Chor: Ich liebe ihn!“ Samara Joys Begleiter tun derweil alles, um ihre Chefin glänzen zu lassen. Der kluge, zurückhaltende Pianist Ben Paterson weiß genau, was eine Sängerin braucht, um zur Hochform aufzulaufen, ebenso wie der solide swingende Drummer Malte Arndal.

Zum guten Schluss, als zweite Zugabe eines denkwürdigen Abends, präsentiert Samara Joy, deren Großeltern Elder Goldwire und Ruth McLendon die berühmte Gospelgruppe The Savettes leiteten, ein unbegleitetes Kirchlied. Ein Notengebilde aus purer Schönheit und überwältigenden Emotionen. Keiner wagt zu atmen: „This is my story, this is my song.“ Danke!