Samara Joy Quartet | 30.04.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Sie kommt gerade aus Warschau und ist auf dem Weg nach Prag. Dazwischen macht sie Station im Neuburger Birdland Jazzclub. Die wichtigen Orte des Jazz haben mitunter nichts mit deren Einwohnerzahl zu tun. Was für ein Glücksfall für Neuburg. Die Sängerin aus der New Yorker Bronx mit der Ausnahmestimme ist gerade mal 24 Jahre alt und man darf getrost davon ausgehen, dass man von ihr künftig noch jede Menge hören wird. Im Laufe des Abends singt sie Songs, die durch Sarah Vaughan („Can’t Get Out Of This Mood“), Dinah Washington („Only A Moment Ago“) und Nancy Wilson („Guess Who I Saw Today“) bekannt gemacht wurden, von Sängerinnen also, die auch heute noch, obwohl längst nicht mehr am Leben, in ihrem Tätigkeitsbereich so etwas wie das Maß aller Dinge sind. Miss Joy hat wie einst jene die Gabe, Stücke aus dem Great American so zu interpretieren, als wären es ihre eigenen, als wären sie speziell für sie geschrieben. Nur ganz wenige tun das aktuell so überzeugend wie sie, und vermutlich ist es nicht vermessen, sie schon heute als eine legitime Nachfolgerin jener großen Vokalistinnen zu betrachten. Die Schuhe, die sie sich damit anzieht, sind zwar riesig, scheinen aber dennoch wie maßgeschneidert.

Dabei ist sie alles andere als eine Diva, scherzt vielmehr auf ungemein sympathische Weise mit ihrem Publikum, lacht mit ihm, lädt zum Mitmachen ein, er­zählt von ihrem Mentor, dem Pianisten, Komponisten und Musikpädagogen Barry Harris, dessen „Sometimes Today Seems Like Yesterday“ und „Nascimento“ sie dann auch postwendend intoniert, bringt Thelonious Monks „Worry Later“ a cappella. In solchen Momenten hält man unwillkürlich den Atem an, ist fasziniert von der glasklaren Stimme, all der Kraft und der Emotion hinter der bei Bedarf auch mal samtenen Oberfläche, der Sicherheit in der Intonation, der scheinbaren Mühelosigkeit hinter ihrem Tun, der Natürlichkeit ihres Vortrags, bei dem nichts gekünstelt ist oder Effekthascherei.

Einfühlsam unterstützt von Ben Paterson am Flügel, Mathias Allamane am Kontrabass und Malte Arndal am Schlagzeug, überwindet sie mit den ersten Tönen von Nat King Coles „Stardust“ bereits die Distanz zum Publikum, die im Grunde freilich nie bestand, und improvisiert in der zweiten Zugabe aus mal eben schnell einen Song mit dem Titel „Day By Day I Fall More In Love With Germany“. Wofür ausschließlich das Birdland-Publikum verantwortlich ist, denn weitere Deutschland-Termine gibt es aktuell nicht.

Am Ende haben beide Seiten neue Einsichten gewonnen. Das Auditorium im ausverkauften Kellergewölbe unter der ehemaligen Hofapotheke, das eine Begegnung mit Sarama Joy eine große Chance ist, einen Blick in die Zukunft des Jazzgesangs zu werfen. Und auch die Sängerin selbst, die heute drei neue Wörter der deutschen Sprache gelernt habe, wie sie mit entwaffnendem Lachen feststellt. „Neuburg“, „sehr gut“ und „Zugabe“. Letzteres wäre gerade in ihrem Fall eine tolle Sache. Am besten möglichst bald.