Vincent Herring & Soul Chemistry | 26.10.2024

Donaukurier | Karl Leitner
 

Es heißt, in der Person des aus Kentucky stammenden und in New York lebenden Altsaxofonisten Vin­cent Herring, Jahrgang 1964, lebten der Sound und die Stilistik des legendären Cannonball Adderly (1928 – 1975) fort. Da ist sicherlich viel Wahres dran. Als Dozent an verschiedenen Hochschulen gibt er sein Wissen seit Jahren an den Nachwuchs weiter. Mit dem japanischen Ausnahmetalent Erena Terakubo bringt er nun seine Meisterschülerin mit auf eine Europa-Tour, die ihn auch nach Neuburg in den Birdland Jazzclub führt.

In Kooperation mit dem Schweizer Schlagzeuger Joris Dudli, dem spani­schen Kontrabassisten Ignasi Gonzales und Urs Hager aus Wien am Klavier so­gen die beiden dafür, dass bereits nach fünf Minuten quasi die Hütte brennt und dass das auch über mehr als zwei Stun­den so bleibt. Diese Band sorgt ab der ersten Sekunde für klare Verhältnisse und enttäuscht die Erwartung, die sie da­mit hervorruft, nämlich einen Abend mit heißer Musik, nicht einen Augenblick lang. Terakubo’s scharfer Ton, ihre ra­send schnellen Läufe, ihre vor Energie übersprudelnden Kaskaden ergänzen sich hervorragender Weise mit dem wärmeren Sound Herrings, dessen abgeklärter Me­lodieführung und dessen eleganter Phra­sierung. Hier ziehen vier Herren und eine Frau gemeinsam an einem Strang, brennen ein Feuerwerk an heißer Musik bei gleichzeitiger Coolness ab, das in den beiden Zugaben, dem Klassiker „Old Devil Moon“ und Herring’s „Dudli’s Di­lemma“ seinen Höhepunkt findet. Mo­mente wie diese, in denen die Musik ein Eigenle­ben entwickelt und eine Band an­fängt, auf deren Schwingen wie von selbst ei­nen halben Meter über dem Büh­nenboden zu schweben, sind äußerst sel­ten und sollten am besten nie enden.

Was sie natürlich trotzdem irgendwann tun. Herring hatte in Adderly einen idea­len Lehrmeister und Terabuko hat ihren in Herring. Doch die beiden stehen ja nicht isoliert und vor allem mit sich selbst beschäftigt in der Szene des Hard Bop und des Soul Jazz, sondern sind und bleiben Teil von ihr, integrieren Freddie Hubbard’s „Sweet Sue“, Charly Parker’s „Repitition“, Victor Feldman’s „The Chant“ in ihr Programm, intonieren Hank Mobley’s „A Pack A Sack“ und die Ballade „Good Morning Heartache“, zei­gen mit fanfarenartigen, feurigen The­men und mächtigen Saxofonstößen im­mer wieder ihre gemeinsame musikali­sche Visitenkarte vor.

Was überraschend ist: Bis auf eine Nummer ist kein einziges Stück aus ei­ner von Herring’s Veröffentlichungen aus der letzten Zeit im Programm zu fin­den. Statt dessen zwei Standards, zwei Neu­kreationen – Terakubo’s „Little Girl Power“ ist für sie der ideale Anlass, auch noch den zweiten Turbo zu zünden – und selten Gehörtes aus der Feder namhafter Genre-Kollegen. So geht’s also auch. Man schaut sich in der umfangreichen Literatur um und stellt daraus zwei sorg­fältig abgestimmte Sets zusammen, fliegt über den großen Teich, holt sich die ge­eigneten Musiker für eine kleine Tour mit an Bord – nach dem Gig im Birdland geht’s sofort in Luzern und dann in Paris weiter – und ab geht die Post. Was übrig bleibt, ist ein restlos begeistertes Publi­kum, die Gewissheit, wieder mal ein echtes Highlight im Birdland erlebt zu haben, der Plan bei vielen, das Pro­grammangebot des Neuburger Jazzclubs künftig besonders genau abzuchecken und wiederzukommen. Anlass dazu be­stünde in den nächsten Wochen wahr­lich reichlich.