(Audi Forum Ingolstadt)
Was für eine Big Band! Keine geschniegelten Salonuniformen, sondern allenfalls die Farbe schwarz als kleinster gemeinsamer Dresscode. Ein nur scheinbar undiszipliniertes Gewusel auf der Bühne, kein Klavier, ein Dirigent, der offensichtlich alles laufen lässt, aber in Wirklichkeit doch jeden Faden in der Hand hält, und noch dazu Österreicher in bedrohlich hoher Anzahl.
Das Vienna Art Orchestra war noch nie mit normalen Maßstäben zu messen und wollte dies auch nicht. Um so verwunderlicher scheint es deshalb, dass sich dessen Spiritus Rector Matthias Rüegg (übrigens ein Schweizer) bei seinem Gastspiel im Ingolstädter Audi-Forum mit Akribie, Hingabe, Humor und Mut dem Werk des größten Orchesterleiters aller Zeiten, Duke Ellington, widmet.
Schon mal „Mood Indigo“ als kratzbürstiges Gitarren-Posaunen-Duo erlebt? Oder den berühmten „A-Train“ als flinkes Zwiegespräch von Bass und Bassklarinette über die Schienen rumpeln hören? Rüeggs Ellington – das bekommen die Zuhörer per Video gesteuerter Lightshow im Museum mobile nachhaltig zu spüren – ist von ganz besonderer Art. 90 Minuten lang ohne Pause zeichnen der Orchesterleiter und seine 17 Mitstreiter ihr eigenes Bild von der Musik Ellingtons und seines kongenialen Partners Billy Strayhorn. Mit Pinselstrichen, die häufig ganz andere Farben besitzen, als das bekannte Original und vor allem geprägt sind von grandiosen Soli der einzelnen Orchesterglieder.
Diese drücken den Interpretationen einen eigenen und unverwechselbaren Stempel auf. Wie in der Ballade „Day Dream“, bei der die Textzeilen der hervorragenden Sängerin Anna Lauvergnac wie feiner Sand in das Horn des großen Tenorsaxofon-Melodikers Andy Scherrer rieseln. In „Rockin` in Rhythm“, wenn Alegre Correas Gitarre völlig unprätentiös zickt und zuckt. Oder in „Smada“, bei dem Drummer Mario Gonzi galoppiert, die schneidige Bläsersektion die Sporen gibt und der australische Wahnsinns-Posauist Adrian Mears auf dem Rücken eines Pferdes stehend talabwärts dem Sonnenuntergang entgegen reitet.
Meist sind es jedoch die abgelegten Songperlen des Duke, dessen verstaubtes Tafelsilber, mit dem Rüegg und Co. das Audi-Auditorium gefangen zu nehmen wissen. Diese tragen Namen wie „Circle in Fourth“ (mit einem behänden Seiltanz des klobigen Baritonsaxofons von Herwig Gradischnig), „I´m beginning to see the Light“ (mit einer betrunkenen Bassklarinette von Florian Bramböck und einem herrlich deplazierten „Tequilla“-Zwischenruf der Band) oder „The Star crossed Lover“ (bei dem die Trompete von Thomas Gansel im Staccato eines Maschinengewehrs grelle Blitze absondert) und transportieren einen kraftvollen Glanz, der durch die dreckige Oberfläche hindurch schimmert.
Ganz selten agieren alle Musiker, bei jedem Titel formieren sich neue Seilschaften, reißt sich das „Wiener Kunst Orchester“ immer wieder kunstvoll auseinander, um danach entweder im Quintett, Sextett oder Septett zusammenzufinden. Reduktion, die aber nichts von Ellingtons Zauber wegnimmt. Unterm frenetisch beklatschten Strich kommt alles zusammen: Swing, Bebop, aber auch Funk und Rock. Das ist die eigentlich große Kunst dieser quicklebendigen, frechen Band, um die wir unser Nachbarland ganz ohne Schmäh beneiden.