Jim Mullen – Helmut Nieberle Sextet | 16.11.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Bob Rückerl fährt gerne mit dem Knie. „Eine bayerische Sitte?“ fragt sein schottischer Kollege Jim Mullen das Publikum im Neuburger „Birdland“-Jazzclub schmunzelnd und auch ein wenig verwundert darüber, wie entspannt der Baritonsaxofonist aus Abensberg da seine klobige „Brummaxt“ in verschiedenen Gängen durch kurvige Straßen steuert.

Irgendwie passt „Driving with the Knee“, Rückerls kompositorischer Beitrag im vollbesetzten Hofapothekenkeller, wie die Kappe aufs Mundstück zur wohlig-warmen, ein wenig draufgängerischen Grundstimmung an diesem feinen, inspirierten Abend. Mullen und sein Alter Ego Helmut Nieberle an der Gitarre verströmen zusammen mit dem Schlagzeuger Scotty Gottwald, dem Bassisten Christian Diener und eben Bob Rückerl jenen optimistischen Duft, den der Jazz noch in den frühen 60er Jahren an sich trug und der sich vor allem in bayerischen Clubs bis heute festgesetzt hat.

Das knallbunte, gleichwohl niemals beliebige Sammelsurium aus eingängigen Themen, knackigen Rhythmen und schmissigen Tutti verschafft einem gerade in diesen düsteren Novembertagen ein höchst behagliches, angenehmes Lebensgefühl. Und es erzeugt neben guter Laune auch jede Menge Bilder. Etwa in dem Tune „Struttin` with Jim“ dasjenige einer von Rückerls dampfendem Saxofontrichter und Gottwalds Shuffle-Drums gezeichneten Lokomotive, auf der zwei grandiose Gitarrenheizer Briketts in Form von halsbrecherischen Akkordkaskaden verfeuern. Oder in „Old Devil Moon“, das Nieberle zu einem kleinen, augenzwinkernden Gruselschocker mit schummrigem Dämmerlicht umarrangiert hat.

Dizzy Gillespies „Blue `n` Boogie“ reiten die Saiteninstrumente und das Saxofon dagegen fast im Schweinsgalopp zu, während Charly Meimer in „You turn the Tables on me“ mit der Nonchalance der minimierten Stimme fast maximale Ausdruckskraft erlangt. Bei dem singenden Teilzeitmitglied der Band drängt sich sowieso jeder verfügbare Vergleich mit den heftig umstrittenen Vokalfähigkeiten eines Chet Bakers auf. Meimers Ausdrucksspektrum freilich bewegt sich in einer emotionalen Nische, die zu erreichen für ausgebildete Vokalisten überaus schwer fallen dürfte.

Diesmal gelingt Meimer der Seiltanz auf der Kante zwischen Kitsch und Kunst. Ebenso wie den beiden Gitarristen jeweils ein großes solistisches Meisterwerk glückt. Während Jim Mullen – eigentlich ein ausgemachter, hochdekorierter Blueszupfer vor dem Herrn – mit erst tastenden und denn um so ausgelasseneren Singlenotes in Hoagy Carmichaels „The Nearness of You“ verzaubert, besticht der Regensburger Helmut Nieberle mit einem entrückten Exempel für erlesenen Geschmack und souveräne Virtuosität auf sechs Saiten.

Die Frage nach dem Fahrstil für die Heimfahrt erledigt sich nach der ausgelassenen finalen Männer-Gesangsrunde im Gedenken an Nat King Cole („I want the Frim Fram Sauce with Oss-En-Fay with Sha Fafa on the Side“) fast von selbst: natürlich ohne Knie, freihändig und -schwebend.