Preisefrage: Was kommt bei der Liaison einer klassischen Konzertpianistin und eines Jazz-Schlagzeuger heraus? Eine Jazz-Pianistin! Wer aber nun denkt, die Tochter von Hildegard Pohl und Yogo Pausch würde sich auf ihre guten Gene verlassen und einfach nur das Beste aus beiden Welten schlau zusammenbinden, der hätte unbedingt das Konzert der ebenso talentierten wie begeisterungsfähigen Nürnbergerin im Birdland-Jazzclub miterleben müssen. Denn was Victoria Pohl da an einem äußert kurzweiligen Abend im Verbund mit ihren kongenialen Mitstreitern auf die Bühne zauberte, war Unterhaltung im allerbesten Worten, ohne dabei musikalische Raffinesse in einer einzigen Sekunde einen untergeordneten Status zu verpassen.
Viktoria Pohl freut sich sichtbar, hier zu sein, in diesem Club, in dem so viele große Namen spielten und dessen wahren Wert jeder außerhalb der Stadt längst zu schätzen weiß – nur manchmal eben die Neuburger noch nicht. „Diese Club ist ein Juwel“, schwärmt Pohl, und es klingt mitnichten wie eine bloße Höflichkeitsfloskel. Sie passt allemal da hinein, in die Phalanx der Helden, die bislang ihre Finger in den Bösendorfer-Flügel legten, nicht zuletzt, weil sie zwar jeden von ihnen aus dem Effeff studiert, aber daraus längst eine spannende, eigene Pianosprache geformt hat. Die 33-Jährige liebt es, Geschichten zu erzählen, entweder verbal oder auf den Elfenbeintasten. Charmant, authentisch, mit einem gewinnenden Lächeln und einem tiefen Verständnis für die Bedürfnisse des Publikums breitet sie ihre Episoden aus. Vor allem die Story über ihren Lieblingshahn „Mr. Hähnry“, der wie ein Patriarch auf einem Bauernhof herumstolzierte, aber seine Hennen nicht allzu gut behandelte, weshalb er irgendwann geschlachtet werden musste. Die fantasievolle Hommage auf den Macho-Gockel wuselt nur so vor Tempowechseln, krummen Taktarten und schillernden Melodiebögen, ist jedoch alles andere als ein akustischer Hühnerhaufen.
Überhaupt hat die junge Pianistin technisch eine ganze Menge drauf, ohne dies eine Sekunde lang zum Selbstzweck verkommen zu lassen. Sie verfügt über einen höchst sensitiven Anschlag, den sie im nächsten Stück problemlos in eine knallharte Akkordpranke verwandeln kann. Schlussendlich zerschlägt Viktoria Pohl auch überzeugend die ziemlich dumme These, dass es ein weibliches und ein männliches Pianospiel geben soll. Es gibt nur ein gutes oder ein schlechtes. Und ihres ist definitiv mehr als gut! In „Trust In Us“ vermischen sich donnernde Blöcke mit perlendem Swing, mitunter schimmert Oscar Petersons Eleganz hervor, aber allzeit frisch und ohne direkte Bezüge serviert, während das nachdenkliche, aber nie schwermütig balladeske „Where Are You“ wie ein nächtlicher Windhauch anmutet. „Thank You“, das Stück mit den „coolen Akkorden“ (Pohl) sprudelt wie ein Gebirgsbach und dient gleichzeitig als Verbeugung vor ihren Begleitern Felix Wiegand (Kontrabass) und Florian Kettler (Drums), die gemeinsam mit ihrer Chefin einen Triosound konstruieren, der perfekt in die nicht ganz leichte zu bespielende, aber in dieser Präzision wunderbar klingende Akustik des Hofapothekenkellers passt.
Man hätte ihr noch stundenlang zuhören können, obwohl sich gerade beim Mainstream-Jazz oft genug eine plätschernde Gleichförmigkeit einstellt. Aber erstaunlicherweise hält die Pianistin das Spannungslevel weiter hoch, nicht zuletzt wegen solcher Themen wie „Autumn Waves“, bei dem sie einen bekannten Standard mit Einflüssen aus dem französischen Impressionismus anreichert. Sie würde „sehr, sehr gerne“ wiederkommen, zwinkert Victoria Pohl nach zwei Zugaben vor vollem Haus verlockend in Richtung von Birdland-Chef Manfred Rehm. Nach diesem Abend würden sie viele Neuburger ganz sicher wieder sehr, sehr gerne hören und sehen!