Vanessa Rubin Quartet | 10.10.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Zugegeben: die Zeiten für Vokalistinnen waren schon mal schlechter. Nachdem jetzt sogar die Werbung die feine Suggestivkraft des Jazz entdeckt hat, feiert fast automatisch ein Klischee fröhliche Urständ: das des singenden Vamps inmitten rauchiger Atmosphäre. Adrettes Äußeres, gepaart mit stimmlichem Wohlklang, lautet das griffige Rezept. Oder auf`s Wesentliche reduziert: optisch Reizvolles steigert den akustischen Genuß.

Dabei haben große Vorbilder wie Ella Fitzgerald ihren legendären Ruf eigentlich weniger dem berühmten Schlitz im Kleid zu verdanken, als ihren einzigartigen Fähigkeiten. Unterm Strich kommt es auf die Unverwechselbarkeit einer Sängerin, ihre künstlerische Identität an. Ein Teil der neuen Generation der Grand Dames am Mikophon, wie etwa Vanessa Rubin, weiß um diesen markanten Unterschied zwischen voyeuristischem Kitsch und echter Kunst und projeziert ihn mit großer Seriosität in die eigene Show.

Sicher: die farbige Amerikanerin zählt zu den attraktivsten Erscheinungen der Szene. Doch während des Auftritts im Neuburger „Birdland“ Jazzclub ordnet sie ihre vorteilhaften Sekundärattribute stets dem eigentlichen Zweck der Darbietung unter. Keine oberflächliche Anmache, sondern vielmehr kokett-dezente Verzauberungsmomente. Schließlich hat sich der Keller unter der Hofapotheke nicht zuletzt deshalb bis fast auf den letzten Platz gefüllt, weil der Rubin eben der Ruf vorauseilt, neben Cassandra Wilson zu den augenblicklich hoffnungsvollsten Jazzstimmen der Gegenwart zu zählen.

Zu einem nicht unwesentlichen Teil liegt dies am Plan der New Yorker Chanteuse, den sicheren, aber mitunter auch recht eintönigen Pfad des „Great American Songbooks“ zu verlassen und stattdessen artfremde Pop-Titel wie Stings „Seven Days“ an die elementaren Bedürfnisse des Swing anzupassen. Ein Konzept, das auf ihrer aktuellen CD ziemlich in die Hose ging, aber „on stage“ mit einem konventionell-akustischen Rhythmustrio (George Colligan am Piano, Richie Goods am Baß und Neil Smith am Schlagzeug) schon wesentlich besser funktioniert.

Der Mut zum Unkonventionellen ist ohne Vorbehalte zu loben. Das Publikum spürt, wie Vanessa Rubin nach einer neuen Sprache sucht, sich glaubhaft in die Stimmungen der einzelnen Themen versetzt und mit jeder Note an einer authentischen Aussage arbeitet. Alles wirkt technisch tadellos und im höchsten Maße professionell: die perfekte Phrasierung, der obligatorische Smalltalk mit dem Publikum, der diven-mäßige und doch nahbare Habitus.

Dennoch drängen sich unweigerlich Fragen auf. Etwa, warum ihre Stimme höchstens gefällt, aber nicht dauerhaft gefangennimmt. Wo bei elegischen Balladen wie „Lush Life“ oder „The Summer Knows“ jenes berühmte prickelnde Feeling bleibt. Oder weshalb solch wohlig warme Augenblicke wie das herrliche „Super Woman“ von Stevie Wonder, in dem Rubins dunkles Timbre im Wechsel mit den pastellfarbenen Pianotupfern Colligans eine langlebige Gänsehaut erzeugt, nur zu den Ausnahmen zählen.

Die Antwort könnten gerade Ella, Billie Holiday oder Betty Carter geben, bei denen sich die entsprechende Wirkung auch erst mit der Reife des Lebens einstellte. Hoffentlich hält Vanessa Rubin den Verlockungen stand, diesen mühevollen Weg mit Hilfe eines der bereits genannten Klischees abzukürzen.