Christian Willisohn | 17.10.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wir schreiben 1997, das Jahr der musikalischen Simplifizierung. Leichte, nervenschonende Kost ist angesagt, Ohrwürmer, Gute-Laune-Harmonien. Keine schrillen Klänge, kein intellektueller Ballast sollen in schwierigen Zeiten wie diesen das Feierabendvergnügen der Zuhörer trüben. Und der Künstler arrangiert sich mit den Gegebenheiten, nach der Verpopung der Klassik, nach dem Revival der Rock-Opas nun leider auch im Jazz und seinen Randbereichen.

Beispiel gäbe es genug: Joe Henderson, einst die Ikone der Avantgarde-Kultur, umschmeichelt plötzlich die Sinne mit „Porgy and Bess“, John McLaughlin, in der 70ern noch ein Brachialgitarrero erster Güte, zupft auf einmal zarte akustische Weisen und die zahnlosen „Young Lions“ erschöpfen sich mit risikolosen Jazz-Klassikern. Selbst ein wandelndes Synonym für die originären Werte des Blues wie der Pianist Christian Willisohn mutiert zunehmend zum Opfer des Zeitgeistes. Des 35jährigen Münchners jüngster Soloauftritt im Neuburger „Birdland“-Jazzclub hinterließ jedenfalls eine Menge zwiespältiger Gefühle, gerade weil dessen Name von den Fachmedien inzwischen sogar in einem Atemzug mit Axel Zwingenberger oder Vince Weber genannt wird.

Willisohn verfügt immer noch über seine gottgegebenen Talente, wie die leicht angerauhte, whisky-getränkte Stimme sowie seine flinken, gleichwohl einfühlsamen Hände, und er weiß diese auch höchst vorteilhaft einzusetzen. Was noch vor wenigen Jahren als mutige Offensive für die längst vergessene, weil zu filigrane New-Orleans-Pianokunst der 20er Jahre gar in den USA für Aufsehen sorgte, hat sich mittlerweile aber auf ein weitgehend konturloses Oeuvre ohne Ausreißer nach oben wie nach unten eingependelt.

Auf leisen Sohlen schlich er früher gerne daher und zwang seine Fans verschmitzt zum Innehalten. Im Hofapothekenkeller beim elegischen „Basin` Street Blues“ oder dem melancholischen „Blues In My Bottle“ ein fürwahr rundum gelungenes, dramatisches Element. Wenn der charmante Tastenfreak mit Tuchfühlung zum Publikum („Habt Ihr noch `n Wunsch?“) aber heute selbst bei Zydeco, Ragtime oder Stride kaum mehr auf das stete Antupfen der Tasten, das pausenlose süßliche Brummeln, den enervierenden schluchzenden Unterton verzichten will, dann entlarvt sich alles irgendwann mal als billige Masche.

Daß Christian Willisohn offensichtlich längst den Sensor für die Grenze zwischen populistischem Gleichmut und ernstzunehmender Konkurrenzfähigkeit verloren hat, stellte er nach einem durchwachsenen ersten Set erst recht nach der Pause unter Beweis. Wer bis dahin immer noch auf den einst unbezähmbaren Reiz des „Eight-to-the-bar“ wartete, bekam stattdessen laue, flache Countrysongs und, quasi als Krönung der Ratlosigkeit, bei der Zugabe sogar schnulzige Joe-Cocker- und Beatles-Adaptionen vorgesetzt.

Selbst beim überwiegend positiv gestimmten Auditorium hinterließ die Easy-Listening-Party gemischte Gefühle: während der eine Teil wie programmiert jubelte, verließ ein anderer noch vor dem letzten Ton den Jazzclub. Er hatte sich wohl beim Genuß des überwürzten musikalischen Fast-Food-Menüs den Magen verdorben.