Uri Caine Trio | 28.01.2012

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Was hat dieser Uri Caine nicht schon alles auf die Beine gestellt. Kontrovers diskutierte Bearbeitungen von Mahler, Schumann, Beethoven, Wagner und Bach, erregende Exkurse in die Tin Pan Alley oder nach Rio, waghalsige Experimente mit Fusion, Rock und Funk, energiegeladene Kollaborationen mit Jazz-Abenteurern wie Dave Douglas, Sam Rivers und John Zorn, neuerdings gar mit dem Schauspieler Joseph Bierbichler in der Bayerischen Staatsoper. Bislang bevorzugte Caine die große Geste, um auf sich aufmerksam zu machen. Und jetzt einfach ein Pianotrio. Einfach?

Wenn es so wäre, würde der 55-jährige Pianist, Arrangeur und Provokateur nicht derart viele Menschen in den Neuburger Birdland-Jazzclub locken. Sie alle ahnen, dass der Ansatz des Amerikaners weit über das übliche Kräftemessen zwischen Flügel, Bass und Drumset, das Ausloten der Frequenzgrenzen kommunizierender Töne, das akademisch geschulte Spiel mit Gewichtsverschiebungen im gleichschenkligen Dreieck hinausgeht. Caine und seine Komplizen John Hébert (Kontrabass) und Ben Perowsky (Drums) nützen das Trioformat vor allem dazu, um den Prozess der Improvisation permanent auf den Prüfstand zu stellen.

Fernab jeglicher Standard-Routine wimmelt es bei den Dreien nur so von Zitaten. Nicht effektheischend wie ein Ausrufezeichen dazwischen gepfercht, sondern dezent, pfiffig, fast bauernschlau eingestreut. Ihre Tempi variieren innerhalb eines Stückes wie die Fahrtgeschwindigkeit einer Achterbahn; bergauf, bergab, schleppend, dann wieder atemlos sprintend. Der Noten-Archäologe Caine würdigt die Säulenheiligen des Pianotrios, indem er sie analysiert und bisweilen auch seziert. Die störrische Raffinesse eines Thelonious Monk, die innere Balance eines Hank Jones, die Eleganz eines Teddy Wilson, die Selbstverliebtheit eines Erroll Garner, den raffinierten Drive eines James P. Johnson und die Genialität eines Art Tatum.

Mit all diesen Puzzleteilchen gelingt Caine, Hébert (der Bildhauer am Bass) und Perowsky (einer der musikalischsten Drummer der Gegenwart) eine kritische, aber nicht minder liebevolle Bestandsaufnahme der traditionellsten aller Besetzungsformen, die der historischen Wahrheit ziemlich nahe kommt. Im Hofapothekenkeller swingt es süffig und schräg, es boppt und rockt im Hochgefühl des Adrenalin-Kicks. Balladen beginnen im offenen Tempo, bevor sich eine Schicht aus kruden Harmonien über sie legt. Danach entschlüpft wie auf ein unsichtbares Zeichen ein drängender Groove aus dem Notengebirge.

Des Pianisten Finger flitzen über die Tastatur, wollen überall gleichzeitig sein. Akkorde jaulen auf, Funken stieben, Stimmungen entstehen und zerplatzen. Das Aroma von Ambition und Konzept, Fingerfertigkeit und Virtuosität, Transparenz und Leichtigkeit, Wissen und Intuition liegt über diesem Trio, was sich auch in dem programmatischen Titel „Smelly“ manifestiert. Alles, was Uri Caine in die Finger fällt, duftet nach Verführung. Vordergründig populär zwar, aber intellektuell wie mental eine enorme Herausforderung. Ein Strudel aus mitreißender Musik voller Spannung und Spielfreude, der die Zuhörer mit Haut und Haaren verschlingt. An diesem Abend gilt zweifellos: Der Caine war ihr Schicksal.