Ugetsu | 07.03.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Es klang unverschämt, rebellisch und irgendwie aufregend. Als Art Blakey 1962 die Frontline seiner „Jazz Messengers“ aufstockte, die Arrangements deutlich verkomplizierte und seine Bandmitgliedern die prickelnde Intensität eines kompakten Gruppensounds schmackhaft machte, da entzweiten sich einmal mehr die Meinungen. Nur noch wenig erinnerte an den alten Hardbop, dafür um so mehr an die neue, seinerzeit überaus populäre atonale Avantgarde. So oder so: Blakeys Idee barg Swing, Macht, Drive, Soul, ja sie barst nahezu vor Energie.

Wenn sechs Musiker aus Deutschland, den USA und Australien 35 Jahre später erneut den innovativen Geniestreich des populären Drummers aufgreifen und damit ganz erstaunliche Erfolge einheimsen, so mag dies wohl Zeugnis genug von der visionären Bedeutung der „Messengers“-Klangschöpfung ablegen. „Ugetsu“, der bewußt gewählte Name des jungen Ensembles, bedeutet auf japanisch Phantasie und diente Art Blakey 1963 als Titel für seine vielleicht populärste Liveplatte. Aufnahmeort: das „Birdland“ in New York.

Da wirkte die gedankliche Parallele zum historischen Ort für das Sextett am vergangenen Freitag im Neuburger „Birdland“ auf ganz besondere Weise beflügelnd. Denn selten zuvor entlud sich auf der Bühne des Hofapothekenkellers ein derart geballtes Kraftpaket an virtuosen Soli, an lustvollem Interplay und an pochenden Rhythmen. Der eigentliche Clou von „Ugetsu“ besteht freilich darin, nie eine billige Klonung der „Messengers“ abzuliefern, sondern mit interessanten, gleichwohl dicht am Original angelehnten Eigenkompositionen („Le French Revenge“, „Long Haired Girl“, „Ravi“) den „Spirit“ der bewegten 60er in die frostigen 90er hinüber zu transportieren.

Damals wie heute ein Experimentierfeld für die begabtesten Instrumentalisten der jeweiligen Generation. Denn nur solche überstehen derart riskante Gratwanderungen mit allerhöchstem Schwierigkeitsgrad ohne Unfallgefahr: verschachtelte Bläsersätze, abgestuft in variierenden Tonarten, grell differierende, wellenförmige Rhythmen, bedrohliches Anschwellen des Themas, dramatische, freie Momente und plötzliche Schwenks in ekstatisch swingende, mitreißende Passagen. Die geistige Söhne wissen längst, warum sich Blakey nicht verzettelte: alles ist möglich, wenn es nur auf einem durchgehenden, schweren, ostinaten Rhythmus beruht.

Diesen Schlüsseljob erledigt der junge Schlagzeuger Dejan Terzic aus Nürnberg mit blakey-typischem, rollendem, fast marschierendem Drumming bravourös. Wiewohl auch die anderen „Ugetsu“-Mitglieder ihre „Messengers“-Rolle ausfüllen, ohne dabei ihren eigenen Stil zu leugnen. Etwa der faszinierende australische Posaunist Adrian Mears: er bläst moderner, als Curtis Fuller, findet jedoch stets dessen legendäre trompetenartige Linien. Der New Yorker Saxophonist Tim Armacoast gibt sich rauher als Wayne Shorter, verfügt aber über dessen ästhetische Schönheit.

Der Münchner Trompeter Peter Tuscher, eigentlich mehr ein bärbeißiger bayerischer Strahlemann, entfacht oft Freddie Hubbards Bluesfeuer. Bernhard Pichl ist sicher kein Cedar Walton, aber ein vortrefflicher, akkordisch gestaltender Pianist, während Martin Zenker, Bassist und Bandleader von „Ugetsu“, wie weiland Reggie Workman Doppelgriffe und saftige Walkinglinien auf höchst schlüssige Weise miteinander zu verbinden weiß. Sechs Namen und ein Konzept, das es sich wirklich lohnt, im Auge zu behalten.