Don Menza Quartet | 15.03.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Ach ja, die guten alten Zeiten! Wer so verklärt von einem an sich ganz normalen Stück Vergangenheit schwärmt, der ist in aller Regel mit der Gegenwart unzufrieden. Die massive Ansammlung leicht angegrauter Jazzfans am Samstag abend im Neuburger „Birdland“ Jazzclub treibt seit langem ein derart gelagertes Problem umher. Beim Betrachten des klinisch toten Münchner Jazzlebens dieser Tage befallen sie nämlich regelmäßig gar schlimme Depressionen und große Wehmut nach dem bunt-vitalen Flair der einst legendären Schwabinger Szene.

Selbsternannte 68er und andere Freigeister erkoren seinerzeit das sagenumwobene „domicile“ an der Siegesstraße zum Ventil für ihre Vergnügungssucht. Dort gab es „Lifestyle“ und beinahe täglich Live-Jazz erster Güteklasse mit Weltstars, aber auch mit einer handverlesenen, illustren Hausband, in der sich bekannte Namen wie Joe Nay, Hartwig Bartz, Olaf Kübler, Pony Poindexter, Benny Bailey, Isla Eckinger und Pepsi Auer tummelten. Zwei aus dem „Inner circle“ dieses ungewöhnlichen Lokals zehren noch heute von den schillernden Erinnerungen und halten den mystischen Geist des „domicile“ weiter am Leben: der amerikanische Tenorsaxophonist Don Menza und der schwäbische Pianist Joe Haider.

Denn wer auf eine derart intensive, teilweise im Gleichschritt zurückgelegte Lebensphase zurückblickt, für den bedeutet es im Prinzip kein Problem, quasi aus dem Nichts heraus nach langer Zeit wieder auf eine Bühne wie die im Neuburger Hofaopthekenkeller zu steigen und gemeinsam zu spielen, so als ob die Lichter an der Siegesstraße nie verloschen wären. Kunststück: das „Birdland“ transportiert ja auch wie kein zweiter Jazzclub in Deutschland die verloren geglaubte, prickelnde Atmosphäre in die Herzen seiner Gäste. Für Menza und Haider Ansporn genug, um der alten Zeiten Willen noch einmal „die Schwarte krachen zu lassen“ und den Freunden im Publikum mit „Bielein“ eine intime Homage auf eine verstorbene gemeinsame Bekannte aus seligen Schwabinger Tagen zu schenken.

Fast vergißt der enthusiasmierte Fan ob dieser Realität gewordenen Zeitreise, daß beide auch 1997 noch zu den besten Vertretern der unbegrenzt haltbaren Qualitätsware „Bebop“ zählen. Denn kaum einer der vielen geklonten jungen Superstars könnte Menza mit seinem technisch brillanten, melodisch bestechenden Ton das Wasser reichen. Ein Tenorgigant wie er nimmt Up-Temponummern rauh und pfeilschnell („Pennie“ von Horace Silver, „Sunnyside“ von Sonny Stitt) verwandelt jedoch auch ohne billigen Pathos Emotionen in hinreißende Balladen („Simply Royal“ und „It`s April Again“). Warum dem 61jährigen nie die der ganz große Durchbruch gelang, bleibt gerade nach seinem jüngsten Neuburg-Auftritt ein absolutes Rätsel.

Auch Joe Haider ist so ein rast- und manchmal auch glückloser „Musican`s Musican“, der es in seinem selbstgewählten Vorruhestand in New Mexico nur wenige Monate aushielt und nun die Leitung der neugegründeten Berliner Jazzschool übernahm. Den Akku für den stressigen Job lädt Haider regelmäßig bei derartigen Revivals auf. Wie weiland in lauen Münchner Sommernächten streute er auch diesmal wieder penibel abgestufte, phantasievolle Klangfarben auf den dichten, von Paul Kreibich (Drums) und Christopher Gordan (Kontrabaß) gewobenen Rhythmusteppich.

Und mit ebenfalls 61 gefällt sich der früher oft grantige Brummbär aus dem „Ländle“ ganz offensichtlich immer mehr in der Rolle des knochentrockenen Humorikers. Seine schon legendäre Schlußansage „Als erschde Zugabe – und als ledschde hören sie jetzt…“ gehört halt einfach dazu. Wie früher das „domicile“ zu Schwabing.