Antonio Hart | 17.03.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wenn einer nicht mit dem Rudel heulen will, verdient das in der trendabhängigen „Black Music“-Szene allemal Beachtung. Und Antonio Hart betrachtet die Wölfe in seiner Umgebung mit großem Argwohn. Denn die farbigen Jungbrüder entpuppen sich zunehmend als (hochtalentierte) ehrgeizige Yuppies, längst wissend, was sich auf dem Jazz als einzig originärer kultureller Errungenschaft des schwarzen Amerika bauen läßt: eine steile Laufbahn nämlich, ein sorgenfreies Leben. Oder besser: eine neue farbige Mittelschicht der Künstler und Intellektuellen in den USA.

An sich würde Antonio Hart, der März-„Rising Star“ im Neuburger „Birdland“ Jazzclub, glänzend ins Rudel passen, vielleicht sogar einen passablen Leitwolf abgeben. Denn der 27jährige besitzt alles, was einem „Black Boy“ auf dem Weg nach oben nützlich sein kann: ein Übermaß an Musikalität, einen scharfen Verstand und einen ausgeprägten Geschäftssinn. Dennoch wehrt sich der Absolvent der renommierten „Berklee School Of Music“ mit Klauen und Zähnen gegen den zwielichtigen Ruf des Neo-Traditionalismus, der eiskalt kalkulierten Abzocke, den seine Generation in den 90ern lächelnd zum egoistischen Kult erhebt. Die Alt- und Sopransaxophonhoffnung aus Baltimore will vielmehr gerade jetzt allen beweisen, daß sein geliebtes Genre noch nicht völlig zum billigen „Onkel Tom“-Kommerz verkommen ist.

Vergangenheit und Gegenwart, mit Geschmack und dem Gespür für das Machbare verwoben; mit dieser Rezeptur überraschte (oder besser gesagt irritierte) Hart in Neuburg zunächst jeden Zuhörer. Den Hiphop-Jüngern war sein Menü zu bieder, den Bebop-Aposteln zu avantgardistisch und den älteren Swingsemestern schlichtweg zu laut. Dabei will das fulminante Quartett um den angehenden Doktor der Musikwissenschaften doch gar keine Nischen befriedigen. Den vier hochmotivierten „Young Lions“ ging es lediglich um eine seriöse und dennoch unterhaltsame Positionsbestimmung der vielfältigen Einflüsse aus der Bronx, Harlem sowie den Übungsstudios in Upper-Manhattan.

Einflüsse großer Vorbilder stehen dabei kaum im Weg, wenn nur die Dosierung stimmt. Etwa bei John Coltrane, dessen spirituelle Phase Antonio Hart ganz offenkundig am meisten beeindruckte. „Like Sonny“, das komplex strukturierte, modale Coltrane-Werk, förderte gleich zu Beginn die gewaltige Intensität und reife Persönlichkeit des Bandleaders zutage, deckte jedoch auch auf, daß manche seiner Mitstreiter nur phasenweise den selbstgesteckten, enorm hohen Ansprüchen genügen können. Drummer Nasheet Waits zum Beispiel, ein Rhythmiker von fast grandioser Phantasie, platzt vor ungezähmter Kraft und zertrümmert mit seinen brutal in die Snare gezimmerten Beats oft jede Intensität. Ebenso James Hurt am Piano, der Blockakkorde in die Klaviatur donnert, daß einem um den edlen Bösendorfer-Flügel Angst und Bange werden kann oder nervig in den Obertönen herumfummelt.

Nach über drei Stunden (!) wirkte das Ganze manchmal wie Powerhouse-Jazz am Rande der Erträglichkeit, wenn da nicht die vielen einzigartig aufregenden, virtuosen Momente gewesen wären, für die in der Hauptsache Antonio Hart verantwortlich zeichnete. Seine sahnigen Motivketten, seine chromatisch blitzenden Licks, sein expressiver, kraftvoller Ton, sein unwiderstehlicher Drive und seine hohe musikalische Intelligenz verdeutlichten, daß er als einer der wenigen die Lektionen seiner Väter begriffen hat.

Gerade das hypnotische, seltsam trancehafte, arabische „Nine Weeks“ (mit hinreißenden Duetten zwischen Hart und dem Bassisten John Benitez), das spritzige, südamerikanisch angehauchte „Capuccino“ oder das geisterhaft lockende „Round Midnight“ (Punkt Mitternacht) stehen für die Qualität dieser ganz speziellen Klänge. Und vor allem für die unüberhörbare Autorität, mit welcher Antonio Hart die Sanierung der „echten“ schwarzen Musikkultur betreibt.