Mose Allison | 22.03.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Eine Legende also. Allison, oder so ähnlich. Kenn ich nicht, kennst du ihn? Macht nix, der letzte Jazzkeller-Besuch liegt sowieso schon fast ein Jahr zurück. Mensch, richtig voll hier, an dem muß was dran sein. Wer? Der Ältere da mit dem weißen Bart? Das ist dieser Mose, der sogar schon Lieder für Van Morrison und die „Who“ geschrieben haben soll? Kann nicht sein! Was die bloß an dem finden. Nöhlender Gesang, dann dieses ständige Rauf und Runter am Klavier. Aber ich weiß nicht, irgendwie…

Momentaufnahmen aus dem Neuburger „Birdland“ Jazzclub, der vorletzten Station von Mose Allisons allererster Tournee durch bundesrepublikanische Clubs. Und überall das gleiche Phänomen: dem 69jährigen Pianisten und Vokalisten aus Tippo/Mississippi eilt der Ruf des geheimnisvollen Unbekannten voraus, der mit seinem bewußt kultivierten Nonkonformismus immer wieder die Lager sprengt. „Die Autorität der populären Musik dieses Jahrhunderts, ein Stück wandelnde Kulturgeschichte“, titelte Deutschlands größtes Jazzmagazin „Jazzthing“, und so etwas lockt natürlich die Massen. Die hoffen auf kernigen Fußwipp-Blues, oder zumindest populär-griffige Klänge wie bei den Rock- und Popstars, die nicht zuletzt durch Allisons Kompositionen zu Weltruhm kamen.

Doch nichts von alledem geschieht. Der unscheinbare, schüchterne Mann bahnt sich den Weg zur Bühne, grußlos, und beginnt abrupt zu spielen. Das heißt, er läßt dem Auditorium zunächst ein paar ausschweifende Pianoimprovisationen angedeihen, die mehr Stirnrunzeln, als Begeisterung erzeugen. Er nennt sie „Boogie-Woogie-Sonaten“, diese mit dichten chromatischen Läufen und verwirrenden asymetrischen Baßfiguren gespickten Kreationen im Spannungsfeld zwischen Hummelflug und Cecil Taylor. Nach einem abschließenden Akkorddonner schöpft er Luft und singt die Anfangstakte von „Some People“.

Erleichterung macht die Runde. Also doch Blues. Aber Mose Allisons kurze, knapp dreiminütige Songs alleine auf die berühmten zwölf Takte hin abzuklopfen, würde seinem exotischen Flair kaum gerecht. Er liebt den Swing Nat King Coles ebenso, wie die verschrobene Melodik Thelonious Monks, die Lässigkeit des Countrys und natürlich die rohen Boogie-Formen eines Willie Dixon oder Muddy Waters. Diese eigenwillige Kombination versieht er mit einem unverkennbaren Shuffle-Beat, der nur einem Zweck dient: seine berühmt-berüchtigten Texte zu transportieren.

Bitter-süß, lakonisch, politisch, philosophisch, anrüchig oder einfach nur brillant mit Worten jonglierend – in den USA und in England besitzen Mose Allison Lyrics längst die Qualität eines musikalischen Credos. Die unzähligen verborgenen schrulligen, persönlichen Elemente wie in „One of these days“ oder „Your mind is on vaction“ („Dein Verstand ist auf Urlaub, aber dein Mund geht die ganze Zeit“) lechzen förmlich danach, entschlüsselt zu werden. Doch gerade hier liegt für Mitteleuropäer die Hemmschwelle zum uneingeschränkten Genuß des Genius von Allison: wer des Englischen nur bedingt oder überhaupt nicht mächtig ist, der empfängt leider nur ein stereotypes Nuscheln im Südstaaten-Dialekt. Keine Chance zum Blick hinter die Fassade.

Dennoch wirkt langsam der Zauber, sowohl beim Publikum, wie auch bei den deutschen Sideman Thomas Stabenow (Baß) und Guido May (Drums). Nach anfänglicher Skepsis über die völlig unorthodoxe Struktur der Arrangements verstehen es die versierten Rhythmiker inzwischen meisterlich, dem kruden Vaudeville-Groove Ohrwurmcharakter zu verleihen. Denn wer bereit ist, sich auf Mose Allison, dieses Prisma für verschiedenartigste Stilrichtungen, richtig einzulassen, der weiß, daß mit wachsender Dosis eine unheilbare Sucht nach seiner Musik entsteht. So wie beim am Schluß völlig aus dem Häuschen geratenen Publikum im „Birdland“, das den inzwischen lächelnden älteren Herrn erst nach drei Zugaben in seine wohlverdiente Nachtruhe entläßt.