TubaTuba | 02.05.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Tubatuba! Manchmal sind es gerade die simplen, lautmalerischen Wendungen wie „Gaga“ oder „Plemplem“, mit denen sich seltsam verrückte Phänomene am besten beschreiben lassen. Oder hat schon einmal jemand ein solches – im wahrsten Sinn des Wortes – atemberaubendes Kunststück erlebt, wie es Michel Godard kurz vor der Pause im Neuburger „Birdland“-Jazzclub vollführte?

Der stets freundliche Franzose holt kurz Luft und setzt an. Um sechs Minuten nicht mehr abzusetzen. Er zeigt dem Publikum im staunenden Hofapothekenkeller, dass trotzdem noch etwas aus dem Schalltrichter kommt, pausenlos, ohne Unterlass. Wilde, bedrohliche, gurgelnde, platzende Sounds. Wer Godard ganz nahe kommt, der kann das rhythmische Scheppern der Hornklappen und ein heftiges, aber kontrolliertes Einatmen über die Nasenflügel hören. Der verbrauchte Sauerstoff verlässt den Körper ausschließlich über die Tuba – als vitale, erregende Musik.

Zirkularatmung heißt diese schwierige Technik, die normalerweise nur auf der Trompete oder dem Saxofon Anwendung findet. Mit der klobigen Tuba beherrscht sie jedoch keiner so meisterhaft, wie der 42-jährige Franzose aus dem Dörfchen Héricourt in der Normandie. Selbst sein kongenialer Partner Dave Bargeron aus New York kann nicht anders, als nach der unglaublichen Darbietung, die Godard (lautmalerisch) „Bass Bees“ (Bass-Bienen) umschreibt, zu applaudieren. Und die Münder bleiben weiter offen, als Godard das Serpent, einen gewundenen Basszink mit Kesselmundstück und Grifflöchern in „Mur Mur“ swingend tippeln lässt , während Bargeron mit dem Sackbut, einem Vorläufer der Posaune, die passende exotische Komplementär-Klangfarbe dagegensetzt.

Dennoch haben es die beiden Tubisten und ihre Mitstreiter, der eloquente italienische Akkordeonist Luciano Biondini sowie der entspannt schlenkernde amerikanische Drummer Kenwood Dennard, an diesem Abend weiß Gott nicht darauf abgesehen, nur zirzensische Kunststücke zum Besten zu geben. Ihr Bestreben liegt vielmehr darin, den Ruf eines auf der roten Liste der Jazzinstrumente stehenden, wuchtigen Ungetüms wieder aufzupolieren, zu zeigen, dass die oft als schwerfällig und unbeweglich gescholtene Tuba manchmal auch leichtfüßig tanzen kann – wenn nur die Richtigen ihr Leben einhauchen.

Godard, einer der Pioniere des folkloristisch geprägten französischen Jazz, sowie Bargeron, der schon mit Paul Simon, Miles Davis oder Blood, Sweat & Tears spielte und maßgeblich am Soundtrack des Oscar-Musicals „Chicago“ mitwirkte, wissen genau, welche Grenzen es hinter sich zu lassen gilt. Die der eingefahrenen Stile, in denen gerade ihre Musik seit Jahrzehnten zu erstarren droht. Deshalb intoniert „Tubatuba“ zum Trotz einen Bebop-Dino wie „Donna Lee“, als würde ein Kastenwagen über eine staubige bretonische Landstraße rumpeln.

Das düstere „54“ skizziert die Schattenseiten von New York, die Welt der stinkenden Hinterhöfe abseits glänzender Boulevards. Beide Hörner schieben sich wie Lichtkegel durch die dichten, aber stets transparenten Arrangements. Niemals schwelgend, immer knapp, bündig und genau auf den Punkt.

Durch das feine ziselierte Akkordeon Biondinis (Godard: „Wir vermuten, dass er die Reinkarnation von Guiseppe Verdi ist“) erfährt die Musik einen fast sakralen Touch voller heiterer Züge. Die elefantösen Hörner schlängeln sich im Stile von grazilen Eisprinzessinnen über das glatte Parkett: Hier eine Pirouette, da ein Doppel-Godard, dort ein dreifacher Bargeron. Natürlich alles virtuos gestanden, mit Kraft, Dynamik und Eleganz zugleich. Ganz klar: Traumnote 6,0 für künstlerischen Wert und Ausdruck. Und Ovationen für die mitnichten dicken Klang-Artisten.