Trio Töykeät | 13.11.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Finnen belegen alles mit Beschlag, was ihnen gefällt, auch ohne Urheberrechte. Nach drei saunierenden Nordmännern, die in einem TV-Spot ein Schweizer Hustenbonbon vorlaut als eigenständige Errungenschaft anpreisen, bemächtigen sich neuerdings drei musizierende Blondschöpfe aus dem Land der heißen Quellen keck und hemmungslos des amerikanischen Jazz.

Die unabdingbare Frage „Wer hat`s erfunden?“ ist aber nach einem Konzert des „Trio Töykeät“ wie jüngst im Neuburger „Birdland“-Jazzclub tunlichst zu vermeiden. Als Antwort würden einem der Pianist Iiro Rantala, der Bassist Eerik Siikasaari und der Schlagzeuger Rami Eskelinen mit unschuldigem Grinsen sowieso bloß „Die Finnen!“ entgegenhalten, und man hätte es in der Tat schwer, ein überzeugendes Argument zu finden, um solch liebenswürdige Frechheiten gezielt zu widerlegen.

Daß eine Musik wie die ihre kaum in Harlem entstehen kann, sondern durch jede Pore das Flair von dunklen Seen, hohen Wäldern, Rentieren und Skilanglauf atmet, liegt zwar nahe, entpuppt sich jedoch recht bald als billiges Klischee. Das Trio mit der naiv-symphatischen „Hoppla-was-kostet-die-Welt“-Mentalität bietet stattdessen einen globalen Rundumschlag, der in Sekundenschnelle den Norden mit dem Westen und den Osten mit dem Süden verschweißt.

Die quicklebendigen „Töykeäts“ hüpfen munter von einer Stilart in die andere, knüpfen in jedem ihrer Mammutthemen einen festen roten Faden aus prickelndem Bop, schleppendem Tango, heiterem Kinderlied, düsterer Avantgarde, spirituellen Volksweisen oder ausgelassenen Sambas. Aber im Gegensatz zu anderen, die sich gerne mit dem Mäntelchen der Vielseitigkeit bedecken, klingt dies alles nie wie ein Zufallsgebräu, sondern stets fein durchdacht, sensibel konstruiert und mit gediegener Anarchie höchst anregend serviert.

Warum die finnische Troika seit einiger Zeit mächtig an den festgezurrten Gesetzmäßigkeit des Musikgeschäfts rüttelt, vom weltgrößten Jazzlabel „Verve“ einen Plattenvertrag erhalten hat und in ihrer Heimat sogar die Popcharts im Sturm erobert, wußten die Besucher des Hofapothekenkellers spätestens nach dem fast dadaistisch anmutenden „Wedding Waltz“. Iiro Rantala am Klavier beginnt höchst dramatisch zu solieren, schnulzt sich dann in eine rührselige Popsequenz hinein, um die Schieflage gerade noch rechtzeitig vor dem Abkippen durch einen furiosen, stampedeartigen Boogiegalopp zu begradigen.

Eerik Siikasaari knattert derweil am Baß wie ein Troll durch die Taktstriche und sondert mit seinem grandiosen Arcospiel manch bedrohlichen Nebel ab, während Drummer Eskelinen wie der leibhaftige Erlkönig hinter seinen beiden Kumpanen herhetzt. Im Gegensatz zum konservativen Pianotrio mit seiner festen Rollenverteilung regelt bei „Töykeät“ jeder abwechselnd das Tempo und die Dynamik, wirft blitzgescheite oder aber auch völlig hanebüchene Ideen in den Topf, um zu sehen, was dem Rest der Crew darauf einfällt. Bei soviel phantasievoller, witziger Kreativität sollte es niemanden verwundern, wenn Hustenbonbons zwar weiter eine Sache der Schweizer blieben, aber die Impulse für den Jazz des 21. Jahrhunderts tatsächlich von den Finnen ausgingen.