Tommy Flanagan Trio feat. Art Farmer | 08.11.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Mimik kann gerade bei Musikern mehr verraten, als jede noch so schlaue Analyse. Die Hauptpersonen wissen schon nach wenigen Minuten, ob die Akustik stimmt, das Publikum regen Anteil nimmt, kurzum: ob ein Auftritt gelingt. Wer auf der Bühne mürrische Blicke oder zusammengekniffene Augen erspäht, der kann davon ausgehen, daß dort oben etwas verkehrt läuft, obwohl die professionelle Oberfläche anderes verspricht.

Wenn jedoch ein notorisch reservierter Mensch wie Art Farmer jüngst im Neuburger „Birdland“-Jazzclub spätestens ab dem dritten Titel ein Dauergrinsen aufsetzt, mit den Fans schäkert und seinen Mitmusikern immer wieder anerkennend auf die Schultern klopft, dann geschieht in der Tat Besonderes, vereinen sich ungewöhnliche Umstände zu einer der im Jazz höchst seltenen Sternstunden. Superlative passen zwar selten, aber hier wie die Faust aufs Auge.

Der Grandsegnieur an der Trompete mußte sich die Hauptrolle des Abends gar mit einem anderen US-Giganten teilen. Tommy Flanagan, ein zeitloser Klassiker am Piano, längst geadelt durch seine Mitwirkung in den Bands von Miles Davis, John Coltrane oder Ella Fitzgerald, nahm zum zweiten Mal nach einem spektakulären Solokonzert 1993 auf dem Klavierhocker des „Birdlands“ Platz. Seine mit einer Vielzahl an harmonischen Raffinessen ausgestatteten und dennoch warm und flüssig perlenden Linien, gekoppelt mit Farmers schwereloser Lyrik auf der „Flumpet“ (einer eigens konstruierten Mischung aus Flügelhorn und Trompete), dazu noch Flanagans dicht pulsierendes Trio mit dem farbig intonierenden Bassisten Peter Washington sowie dem virilen Art Blakey-ähnlichen Drummer Lewis Nash – vitaler könnte sich der in eine Identitätskrise gerutsche Traditionaljazz wohl kaum unter den Lebenden zurückmelden.

Wenn Flanagan in seiner typischen Art zurückhaltend, aber bestimmt das dramaturgische Zepter schwingt, fügt sich auf wundersame Weise wieder die längst verblasste Traumwelt des delikat-ästhetischen Bebop zusammen. Der 68jährige sieht sich weder als Blendwerker noch als Exzentriker. Er beherrscht sämtliche Anschlagsnuancen, verfügt über grenzenlose melodische Inspirationen, eine ebenso zwingende wie swingende Phrasierung und kann wunderschön mit Zitaten seiner Lieblingskomponisten Thelonious Monk („I Mean You“) oder Dizzy Gillespie („Tin Tin Deo“) jonglieren.

Wie Tommy Flanagan freilich Art Farmer in dieses drehende Mobile aus Grooves und girlandenartigen Improvisationen intergrierte, wie der alte Kumpel mit seinem winzigen, geatmeten Hauch vor dem eigentlichen Ton jedem Stück eine eigene, tief emotionale Brisanz verlieh, das trieb sogar den Gästen im vollbesetzten Hofapothekenkeller ein Lächeln ins Gesicht.

Vor allem zu Beginn des zweiten Sets demonstrierte der 70jährige seine unkonventionelle Extraklasse: wo andere mit Uptempo-Nummern und aufgedrehten Verstärkern gegen den ausklingenden Pausenlärm anspielten, setzten Farmer, Bassist Washington und Flanagan mit kristallklaren „Blue Notes“ einen leisen, schwebenden, hauchzarten Kontrapunkt in die Stecknadelstille. Wahrlich nicht der einzige Höhepunkt in einem Fest für Leisetreter und Lautmaler.