Tony Martinez & The Cuban Power | 21.02.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

(Audi Forum Ingolstadt)

Aufgaben gibt es dankbarere. Ein Publikum wachzurütteln, das abwartend, zugeknöpft, ja fast mürrisch in den Sesseln kauert – manch ein Musiker, der selbst nur schwerlich aus seiner eigenen Haut heraus kann, hat bei Konstellationen wie diesen schon vor dem ersten Ton das Handtuch geworfen.

Tony Martinez dagegen grinst erstmal, schüttelt sein kunstvoll gedrehten Rastalocken und flötet in allerbestem Deutsch ins Mikro: „Wollt ihr tanzen?“ Thomas Kappler, der Leiter des Audi-Forums, wird bei diesen Worten leicht nervös, überlegt, ob die für den nächsten Tag anberaumte Aufsichtsratssitzung durch die spontane Offerte des Künstlers möglicherweise in Gefahr geraten könnte, und denkt dann pragmatisch: „Vielleicht sollten wir die Stühle rausräumen…“

Braucht er nicht. Martinez, der Multinstrumentalist aus Havanna mit seiner „Cuban Power“ bekommt den müden Haufen auch so in Griff. Mit schneidigen und schneidenden Bläserriffs, mit flirrenden, akkuraten, feurigen Rhythmen, mit infektiösen, jeden Gehörgang mit Beschlag belegenden Harmonien. Da schwappt keine dickflüssige Holidaysoße in den Kinosaal des Ingolstädter Audi-Forums, sondern Salsa auf scharfer Kante, bei dem die Unterschiede zu den populistischen Easy-Listening-Versionen nicht nur marginal, sondern markant sind.

Wie platzendes Popcorn flutschen die Töne aus der Posaune von Arnaldo Martinez, aus einem berstenden Kraftpaket entströmen scheinbar die flackernden Trompeten- und Flügelhorn-Growls von Leandro Saint-Hill. Links, rechts, darüber, darunter, mittendrin: Tony Martinez, der in der Schweiz lebende Magier des Son, Rumba, Cha Cha Cha und Bomba. Grüezi Kuba!

Der Boss erklärt geduldig die Songs, stellt euphorisch jedes einzelne Mitglied seiner munteren, hoch motivierten Band vor und bläst atemberaubende, merklich an den frühen Coltrane angelehnte Soli am Tenorsaxofon. Beim ausgelassenen Mitsing-Refrain „Gon-go-gin-go“ setzt dann das ersehnte Tauwetter ein. Einige Paare erinnern sich an ihre Tanzstunde, während die Singles in den hinteren Reihen ihren sicheren Stand einer geschmeidig fließenden Bewegung opfern. Die chronische Steifheit weicht einer latenten Weichheit in den Hüften, den Knien und den Gesichtszügen.

So etwas gefällt den Freunden von der Zuckerrohrinsel. Sie spielen lustvoll mit den Emotionen ihrer Gäste Jo-Jo, lassen wunderschöne Balladen wie „Como fue“ einfließen, bei denen die Stimme der Sängerin Virginia Quesada wie ein Mauersegler durch das Thema schwebt, zitieren hemmungslos aus der Jazzgeschichte oder entfachen einen Flächenbrand, dem Martinez die Worte vollmundigen, aber mehr als berechtigten Worte „Die Salsa bin ich!“ vorausschickt.

Die Zugabe lässt endgültig alle trüben Gedanken in einer kollektiven Woge der Glückseligkeit versinken. Die „Cuban Power“, schon in Richtung Bar enteilt, kehrt auf die Treppe zurück und jammt mit Mann, Frau, Maus und Instrumenten, was das Zeug hält, während die Leute um sie herum nur noch ausflippen. Was Wunder: Selbst der Aufsichtsrat könnte bei einer Musik wie dieser nicht mehr still sitzen.