Tonegallery | 09.03.2019

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Mit der Musik Lennie Tristanos, eines der ganz Großen der Jazzgeschichte, setzte sich das Quartett Tonegallery im Neuburger Birdland auseinander. Sein Konzert war geprägt von dezentem Respekt vor dem Erbe und selbstbewusster Kreativität eigener Prägung.

Lennie Tristano war ein bedeutender Erneuerer des Jazz. Die von ihm wesentlich inspirierte, „coole“, vermeintlich akademisch geprägte Auffassung des Jazz der späten 40er und frühen 50er Jahre wurde oft als Gegenbewegung zum zuweilen als hektisch, hermetisch und unberechenbar empfundenen Bebop aufgefasst. Heute wird der durch Miles Davis, Gerry Mulligan, John Lewis und viele andere aufgenommene Stil eher als abzweigende Weiterentwicklung verstanden, spielte Tristano doch in seinen jüngeren Jahren auch beim Bebop-Heroen Charlie Parker. Sei es, wie es sei: Der Einfluss des blinden Pianisten, der sich in jungen Jahren intensiv mit Bach beschäftigt hatte und später in New York an seiner eigenen Schule unterrichtete, auf die Entwicklung des Jazz ist kaum zu überschätzen, er dauert bis heute an. Der immer wieder in Neuburg präsente Lee Konitz war eine seiner frühesten Schüler und Weggefährten. Über ihn griff der Einfluss Tristanos auf Albert Mangelsdorff und die Frankfurter Jazzszene der 50er über, sodass auch der deutsche Jazz Tristano viel zu verdanken hat.

Es ist also nur folgerichtig, wenn ein deutsches Jazzquartett sich der Musik dieses musikalischen Ahnen annimmt, dessen die Nachwelt deutlich zu wenig gedenkt. Dass der heute über neunzigjährige Konitz die aktuelle CD von Tonegallery über den grünen Klee lobte und es jammerschade fand, dass Tristano sie selbst nicht mehr hören kann, spricht für die Band.

Jazz lebt von Spontaneität wie von echtem Können und tiefer Kenntnis der Tradition. So ausgerüstet konnte Dietmar Fuhr kurzfristig und nahtlos für den erkrankten Thomas Stabenow am Kontrabass einspringen. Gemeinsam mit Mastermind Steffen Weber am Tenorsaxophon, Holger Nesweda am Schlagzeug und Bastian Ruppert an der Gitarre kamen Kompositionen von Tristano, Konitz und Warne Marsh, dem dritten im Bunde des Ursprungs, zu Ehren: „Lennies Pennies“, „Friendly“, „April“, „Marshmellow“ und viele andere, nicht zuletzt „317 East 32nd Street“, ein Song mit dem Titel der Adresse von Tristanos Jazzschule.

Eine Besetzung mit Gitarre? Tristano war doch Pianist! Ausgerechnet hier ohne Flügel auf der Bühne des Birdland? Es klappte: Viel frischer Wind und unverstaubte Atemluft bliesen durch die weit geöffneten Klangfenster einer ungemein transparent agierenden Band. Deren disziplinierte, werktreue Verwurzelung bei den Kompositionen war ebenso bemerkenswert wie die markante, energetische Kreativität, diese swingend ans Licht zu heben und in schwebender Leichtigkeit sowie kultivierter Eleganz zum Strahlen zu bringen. Gar nicht akademisch!