Tonegallery | 09.03.2019

Donaukurier | Karl Leitner
 

Der Jazzpianist Lennie Tristano (1919–1978) schwamm zeitlebens gegen den Strom. Wegen der Sperrigkeit und der fehlenden Kommerzialität seiner Musik mag er nicht so bekannt sein wie manch einer seiner Kollegen, eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Jazz ist er dennoch. Der Einzelgänger leitete zudem in New York eine eigene Schule, aus der immerhin Größen wie Lee Konitz, Warne Marsh, Phil Woods und Art Pepper hervorgingen.

Diesem Lennie Tristano also haben Steffen Weber (Tenor- und Sopransaxofon), Holger Nesweda (Schlagzeug), Dietmar Fuhr (Kontrabas) und Bastian Ruppert (Gitarre), sie sich „Tonegallery“ nennen, im Birdland in Neuburg ein komplettes Programm gewidmet, das ausschließlich Tristano-, Konitz- und Marsh-Kompositionen enthält und ohne Piano auskommt, obwohl Tristano selbst doch Pianist war. Doch um geeignete oder vermeintlich ungeeignete Instrumente für dieses Projekt geht es nicht, vielmehr geht es um Tristanos Musik und die speziellen Eigenarten, die sie birgt.

Weber führt wie ein Conferencier durch das Programm, was Jazzer eher selten tun, in diesem Fall aber sehr aufschlussreich ist. So erfährt und hört man, dass fast alle Stücke eigentlich auf den Harmonien bekannter Jazzstandards beruhen, über die Tristano und Konitz neue Melodien legten, die Weber – erklärtermaßen selbst absoluter Warne Marsh-Fan – gerade wegen ihrer „Verrücktheit“ so schätzt. Man weiß nun, was die Wortspiele in Titeln wie „Lennie’s Pennies“, „Lennie Bird“ oder „Friend Lee“ bedeuten und warum der Titel „317 East 32nd Street“ so heißt und nicht anders.

Vor allem aber weiß man nun, was vier Musiker aus den Stücken aus einer eher selten gewürdigten Jazzecke zu machen im Stande sind, wenn sie mit Herzblut und Begeisterung ans Werk gehen. „Es geht nicht um Time oder Dynamik oder Akzente, die alle schriftlich vermittelt werden können. Es geht darum, Feeling zu improvisieren.“ und „Ich möchte, dass der Jazz aus dem Es fließt“ sind inhaltlich durchaus mysteriös anmutende, schwammige Zitate Tristanos. Weber und seinen Kollegen gelingt es trotzdem, diesen Lennie Tristano zu packen und dem Publikum den Zugriff zu ermöglichen zu dessen Werk, zu Stücken wie „Subconscious Lee“ etwa, in dem drei Tempi verarbeitet sind, oder zu „Line Up“, das aber eigentlich „nur“ eine Transkription des Simons & Marks-Klassikers „All Of Me“ ist.

Dass die Musik Tristanos und seiner Schüler durchaus komplex ist, ist offensichtlich. Dass dies aber nicht unbedingt bedeuten muss, dem Publikum stünde damit automatisch ein hartes Stück Arbeit bevor, beweist dieses Quartett. Die Musiker drücken sich beileibe nicht vor der anspruchsvollen Vorgabe Tristanos oder böten etwa eine light Version. Ganz und gar nicht, aber sie erledigen ihre Aufgabe dennoch ungemein locker und gleichzeitig bravourös, so dass die Sache bei allem Anspruch jede Menge Spaß macht.