Tommy Flanagan im Birdland – Solokonzert von 1994 jetzt preisgekrönt | 03.06.2021

Donaukurier | Karl Leitner
 

Als Tommy Flanagan (1930-2001) 1994 im Neuburger Birdland-Jazzclub ein Solokonzert gab, war er längst ein Star am Jazz-Piano. Schließlich war er an den herausragenden Aufnahmen von Ella Fitzgerald, John Coltrane und Son­ny Rollins beteiligt gewesen.

Das Konzert sollte mitgeschnitten und anschließend veröffentlicht werden als Tondokument eines seiner äußerst selte­nen Auftritte als Solist. Eine Rarität also sollte es werden, denn Flanagan sah sich vor allem als ein Teamplayer und war Solo­aufnahmen immer mit Vorsicht begeg­net. Alle waren begeistert vom Ergebnis des Abends, die Organisatoren, das Plat­tenlabel, das Publikum, Flanagans Tour­begleiter, nur Flanagan selbst nicht. Und so blieben auf sein Bestreben hin die Aufnahmen in den Archiven.

Jetzt sind sie als CD unter dem Titel „In His Own Sweet Time“ bei Enja Records erschienen. International werden sie als Sensation gefeiert. So schrieb etwa der britische Observer: „Flanagan ist der komplette Pianist schlechthin. Jede seine Figuren ist absolut zielgerichtet, jede Phrase in perfekter Weise überlegt plat­ziert und rund. Man kann fast hören, wie das Publikum im Club kollektiv vor Spannung den Atem anhält.“

Kürzlich wurde das Album, mit dem Flanagan lange nach seinem Tod sich selbst – und mit ihm einmal mehr den kleinen Club in der bayerischen Provinz – noch einmal ins internationale Ram­penlicht rückt, mit dem Preis der Deut­schen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Angesichts dessen, was Flanagan damals aus den schwarzen und weißen Tasten des Bösendorfer Flügels zauberte, ganz zu Recht. In der Laudatio der Jury heißt es: „Eineinhalb Jahrzehnte lang war er der Begleiter der »Lady of Song« Ella Fitzgerald, als ein vielseitiger Improvisa­tor und bescheidener Musiker, der von sich sagte: »Mir liegt es überhaupt nicht, mich zu profilieren.« Bestgehütet sind … seine Solo-Aufnahmen in den Archi­ven. So auch dieser Mitschnitt aus dem »Birdland« Jazz Club in Neuburg an der Donau von 1994. Sein samtweiches Spiel entfaltet sich auch in der engen Club-Atmosphäre in zehn zauberhaften Balladen, aus dem Bebop heraus entwi­ckelt er seinen Klaviersound: Tommy Flanagan, der hiermit ein sagenumwobe­nes Stück Solo-Musik hinterlassen hat.“

Aus ganz Deutschland waren die Jazz­begeisterten damals angereist, um den genialen Tommy Flanagan zu sehen und zu hören, wie er mit Klassikern wie Tadd Dameron’s „If You Could See Me Now“ oder Billy Strayhorn’s „Day Dream“ um­ging. Man kann in der Tat von einem dreifachen Wunder sprechen: Das erste ist, dass das Konzert überhaupt stattfand, das zweite, dass es aufgezeichnet wurde, das dritte, dass es jetzt – wenn auch eine ganze Generation später – doch noch veröffentlicht wurde. In den Liner-Notes zum Album des Jazz-Journalisten Rein­hard Köchl kann man die ganze Ge­schichte um diesen verspätet gehobenen Schatz nachlesen. Booklet und Musik zusammen ergeben ein überaus ge­schmackvoll ediertes Juwel.