Als Tommy Flanagan (1930-2001) 1994 im Neuburger Birdland-Jazzclub ein Solokonzert gab, war er längst ein Star am Jazz-Piano. Schließlich war er an den herausragenden Aufnahmen von Ella Fitzgerald, John Coltrane und Sonny Rollins beteiligt gewesen.
Das Konzert sollte mitgeschnitten und anschließend veröffentlicht werden als Tondokument eines seiner äußerst seltenen Auftritte als Solist. Eine Rarität also sollte es werden, denn Flanagan sah sich vor allem als ein Teamplayer und war Soloaufnahmen immer mit Vorsicht begegnet. Alle waren begeistert vom Ergebnis des Abends, die Organisatoren, das Plattenlabel, das Publikum, Flanagans Tourbegleiter, nur Flanagan selbst nicht. Und so blieben auf sein Bestreben hin die Aufnahmen in den Archiven.
Jetzt sind sie als CD unter dem Titel „In His Own Sweet Time“ bei Enja Records erschienen. International werden sie als Sensation gefeiert. So schrieb etwa der britische Observer: „Flanagan ist der komplette Pianist schlechthin. Jede seine Figuren ist absolut zielgerichtet, jede Phrase in perfekter Weise überlegt platziert und rund. Man kann fast hören, wie das Publikum im Club kollektiv vor Spannung den Atem anhält.“
Kürzlich wurde das Album, mit dem Flanagan lange nach seinem Tod sich selbst – und mit ihm einmal mehr den kleinen Club in der bayerischen Provinz – noch einmal ins internationale Rampenlicht rückt, mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Angesichts dessen, was Flanagan damals aus den schwarzen und weißen Tasten des Bösendorfer Flügels zauberte, ganz zu Recht. In der Laudatio der Jury heißt es: „Eineinhalb Jahrzehnte lang war er der Begleiter der »Lady of Song« Ella Fitzgerald, als ein vielseitiger Improvisator und bescheidener Musiker, der von sich sagte: »Mir liegt es überhaupt nicht, mich zu profilieren.« Bestgehütet sind … seine Solo-Aufnahmen in den Archiven. So auch dieser Mitschnitt aus dem »Birdland« Jazz Club in Neuburg an der Donau von 1994. Sein samtweiches Spiel entfaltet sich auch in der engen Club-Atmosphäre in zehn zauberhaften Balladen, aus dem Bebop heraus entwickelt er seinen Klaviersound: Tommy Flanagan, der hiermit ein sagenumwobenes Stück Solo-Musik hinterlassen hat.“
Aus ganz Deutschland waren die Jazzbegeisterten damals angereist, um den genialen Tommy Flanagan zu sehen und zu hören, wie er mit Klassikern wie Tadd Dameron’s „If You Could See Me Now“ oder Billy Strayhorn’s „Day Dream“ umging. Man kann in der Tat von einem dreifachen Wunder sprechen: Das erste ist, dass das Konzert überhaupt stattfand, das zweite, dass es aufgezeichnet wurde, das dritte, dass es jetzt – wenn auch eine ganze Generation später – doch noch veröffentlicht wurde. In den Liner-Notes zum Album des Jazz-Journalisten Reinhard Köchl kann man die ganze Geschichte um diesen verspätet gehobenen Schatz nachlesen. Booklet und Musik zusammen ergeben ein überaus geschmackvoll ediertes Juwel.