Tom Harrell Trio Of Life | 21.11.2013

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Noch vor einigen Jahren, da wirkte Tom Harrell, dieser geniale Jazztrompeter, bei seinen Gastspielen im Neuburger „Birdland“ wie eine Salzsäule in schwarzer Lederjacke, gefangen in seinem kranken Körper. Es schien, als sei die Musik seine einzige Pforte zur Außenwelt, ein Ventil für alle aufgestauten Emotionen. Wer dieses Gefühl der beklemmenden Faszination aus Sicht des Beobachters seither abgespeichert hat, der konnte über den Auftritt des 67-Jährigen aus Urbana/Illinois im Rahmen des 3. Birdland Radio Festivals, das der Bayerische Rundfunk aufzeichnete, nur staunen.

Diesmal wirkt Harrell beweglich, fast aufgeräumt – alles natürlich in Relation zu seiner schweren Schizophrenie, die ihn seit Jahrzehnten beeinträchtigt. Manchmal, so scheint es, huscht gar ein Lächeln übers normalerweise steinerne Gesicht, zum ersten Mal stellt er sogar seine Mitmusiker am Mikrofon vor. Auch der Vortrag des in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Instrumentalisten hat sich verändert. Nachdem früher niemand wusste, wie dieser verschlossene, gebrechliche Mann es schafft, derart offene, kraftstrotzende Musik zu generieren, stürzt er das Publikum im Hofapothekenkeller nun ins andere Extrem. Sein intimes „Trio Of Life“ mit den Dauerpartnern Danny Grissett (Piano) und Ugonna Okegwo (Bass) kredenzt schwermütige, auf den Kern des Schmerzes reduzierte Balladen und verwinkelte, kammermusikalische Kompositonsarchitektur, manchmal auch nur schlichte Jazz-Klischees. Das Mysterium der diametralen Struktur.

Handwerklich bleibt alles auf höchstem Niveau. Tom Harrell bläst geschwind und mit blitzsauberer Phrasierung. Aber lustvoll inszenierte Dreier-Interaktionen bleiben aus, ganz zu schweigen von Streitgesprächen. Solo reiht sich an Solo, wobei Danny Grissett am Bösendorfer-Flügel mit schwerem, bluesigen Sound eindeutig die Überraschungsmomente setzt. Sein getragener Beitrag am Fender Rhodes wirkt dagegen tapsig und drollig, gerade weil dessen elektrischer Sound eigentlich als Maßanzug für funky Patterns gilt. Ugonna Okegwos Bass walkt solide ohne vitale Impulse. Ein Teamplayer.

Das „Trio Of Life“ überrascht mit einem relativ statischen Konzept, das im Grund vorhersehbar undramatisch bleibt wie der Handlungsstrang eines Blockbusters. Viel wird von Notenblättern abgelesen, es dominieren punktgenaue, simple, aber durchaus attraktive Unisono-Passagen, exakt festgelegte Zeitbrüche und kalkulierte Reibungen. Nur hin und wieder lockert sich das strenge Band: bei den tiefgreifenden Duetten Tom Harrells mit Grissett am Klavier oder den verwegenen Bebop-Ausritten zum frenetisch beklatschten Finale. Ein Hauch von introvertiertem Glück.