Tom Harrell „Infinity“ | 05.10.2019

Neuburger Rundschau | Julia Abspacher
 

Wer schon einmal im Birdland war, hat sie sicherlich schon einmal bestaunt, die zahlreichen beleuchteten Schwarz-Weiß-Fotografien der hochkarätigen Musiker, die bereits auf der Bühne des Neuburger Jazzclubs standen. An einem besonders exponierten Platz gleich rechts neben der Bühne hängt seit Jahren auch sein Konterfei: Tom Harrell. Schon mehrere Male – zuletzt im April 2018 – war der amerikanische Ausnahmetrompeter im Birdland zu Gast gewesen, und hatte bei jedem Auftritt das Publikum aus Nah und Fern angezogen. Auch am vergangenen Samstagabend war der Hofapothekenkeller wieder bis auf den letzten Platz gefüllt mit Jazzliebhabern, die dem lauschen wollten, was Harrell und sein Quintett da vorne im Scheinwerferlicht zauberten.

„Infinity“ heißt das neuste Projekt Harrells, das die Musiker nach Neuburg brachte – Unendlichkeit. In einem unendlichen Musikstrom ging es also auch am Samstagabend dahin, keine Ansage, keine Songtitel, lediglich der Applaus des Publikums zwischen den einzelnen Kompositionen unterbricht die Musik. „One, two, three“, mehr ist vom Altmeister – abgesehen von seiner Musik natürlich – an diesem Abend nicht zu hören. Aber diese Musik hat es freilich in sich: Zart, gefühlvoll, nuanciert, changierend zeigt sich die Trompete, innerhalb mancher Stücke wechselt Harrell mehrmals spielerisch zwischen dieser und dem Flügelhorn hin und her. Kaum wahrzunehmen scheint er das Publikum, wenn er spielt ist er in seiner eigenen Welt. Meist steht er mit geschlossenen Augen da und genießt die Klangwelten um sich herum, manchmal verlässt er die Bühne komplett und lauscht am anderen Ende des Raums stehend seinen Bandkollegen, wie sie seine Kompositionen interpretieren.

Und auch die anderen Jazzer zeigen ihr Können, Mark Turner am Tenorsaxophon spielt sich mit brillanten, aber doch nie übertriebenen Klängen manches Mal in den Mittelpunkt, Charles Altura (E-Gitarre) sorgt mit Halbtönen und sphärischem Hall für einen leicht psychedelischen Einschlag, der ganz hervorragend mit dem natürlichen warmen Klang der anderen kollidiert und zugleich doch harmoniert. Ugonna Okegwo (Bass) und Johnathan Blake (Drums) sorgen für starken Bass und Rhythmus, auf den Harrell gerne aufbaut, in den er sich aber auch ein ums andere Mal zurückzieht. Der Jazz des Quintetts ist sehr durchkomponiert, es finden sich zahlreiche strukturierte Motive und für die Stilrichtung Modern doch überraschend viele Momente, in denen die beiden Blasinstrumente unisono zueinander finden. Ein besonderes Schmankerl bietet Harrell dann in der Zugabe, die er allein mit seinem langjährigen Weggefährten Okegwo spielt, und in der seine Trompete noch einmal ganz im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen darf.