Tin Hat Trio | 11.02.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Der klassische Jazz wird an der Schwelle zum neuen Millenium zwar noch längst nicht zu Grabe getragen. Seinen bisher sorgsam kultivierten Anspruch als alleinige innovatorische Kraft der modernen Musik muß er jedoch in Zukunft mit artfremden Strömungen teilen.

Festzumachen ist diese Behauptung unter anderem an folgendem Szenario: im Neuburger „Birdland“-Jazzclub, einem deutschlandweit bewährten Refugium für den breiten Mainstream, tritt ein völlig unbekanntes Trio aus San Francisco mit jazz-unüblicher, nonkonformistischer Instrumentierung und höchst skurillem Repertoire auf. Das Wundersame dabei: schon vor dem Konzert des „Tin Hat Trios“ platzt der Hofapothekenkeller aus allen Nähten, danach will der Beifall nicht mehr enden. Es gibt drei frenetisch bejubelte Zugaben und die Gewissheit, dass es jenseits des Bebop tatsächlich etwas gibt, bei dem es sich lohnt, wieder genau aufzupassen: mutige Klänge, die Kopf wie Bauch gleichermaßen in Wallung versetzen.

Was machen Carla Kihlstedt, Rob Burger und Mark Orten anders? Sie konstruieren hybride musikalische Texturen aus den Resten einer verwaschenen globalen Klangwelt des zurückliegenden 20. Jahrhunderts. Nur mit einer Violine, einem Akkordeon sowie einer Akkustikgitarre bekommen sie Tango, Wiener Cafehausschmäh, Countryblues, Klassik, Klezmer, Cajun, Bluegrass oder Jazz mit kühlen Intellekt und heißem Herzen unter einen Hut. Ihre virtuose Armeleutemusik besitzt die morbide Anziehungskraft von Spinnwebengeflechten, in die sich der geneigte Hörer unweigerlich verfangen muß. Es gibt kein Entkommen daraus.

Es sind diese mit spärlichen Mitteln assoziierten Traumbilder, die bei jedem Song wie ein Menetekel über der Bühne schweben: leere Zapfsäulen in der staubigen Wüste, transsylvanische Spukschlösser oder eine Horde depressiver Cowboys, die apatisch ums Lagerfeuer hockt. Die Geigerin Carla Kihlstedt wirkt hier mit ihrem wachen, leichten Ton wie eine Konturverstärkerin. Jedes Flageolett sitzt, die Vierteltöne stimmen, die Doppelgriffe kommen sauber. An ihren sachlich-schlichten Ausführung liegt es, dass selbst die wehmütigsten Melodien der Zinnhüte nie sentimental wirken.

Für die Kolorierung der bizzaren Gemälde zeichnet Rob Burger am Akkordeon verantwortlich. Weniger durch dicke Pinselstriche, als durch hingehuschte Tupfer. Er verzichtet fast vollständig auf die dynamischen Möglichkeiten seines Instrumentes und gräbt stattdessen im untersten Bereich Sequenzen aus, die auch Dino Saluzzi kaum ergreifender gelängen. Die meisten Stücke stammen von Mark Orton, der mit tiefergestimmter Gitarre den Rhythmus fixiert wie ein tickendes Metronom und sich dann und wann eine Dobro-Klampfe auf den Schoß legt, um mit einem Bottleneck die Töne aus den Stahlsaiten zu ziehen.

Die „Tin Hatter“ spielen das krude, sperrige Notengebräu derart exakt und mit derart großem Raffinement, dass die oft verschmähte Dissonanz unter ihren Händen zum düsteren Kleinod gerät. So und nicht anders klingt der Sound des anderen, des jungen Amerika. Jede Wette, dass dieses Trio auf dem Sprung zu einer absoluten Weltkarriere steht. Wer Zeuge dieses atemberaubenden Abends war, könnte nie im Leben dagegenhalten.