Tin Hat Trio | 11.02.2000

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

 

Dr. Tobias Böcker, „NR“ (Konzert am 11.02.2000)

Es gibt sie noch, die musikalischen Schmankerl, die unvermutet aus der Versenkung auftauchen und vollkommen überraschend, neu und ganz anders sind. Das Tin Hat Trio aus San Francisco ist ein solches und noch viel mehr. Der Auftritt im Birdland Jazzclub in Neuburg an der Donau wird jedenfalls noch lange im Gedächtnis haften bleiben.

So ungewöhnlich die Besetzung ist, so wenig absonderlich ist sie. Es kommt eben alles auf den Blickwinkel an. Das Tin Hat Trio jedenfalls fordert vehement zu einem permenantem Perspektivenwechsel heraus. Carla Kihlstedt an der Violine, Mark Orton auf der Akustikgitarre und Rob Burger am Akkordeon warten mit einer wahrlich bemerkenswerten musikalischen Kreuzung auf, in der alles Mögliche und zugleich Unvermutete zusammenfließt hinein in eine akustische Begegnung der dritten Art. Nein, keine Gimmicks, keine Teilhabe an wohlfeilem Plündern aller möglicher musikalischer, folkloristischer oder osteuropäisch-exotischer Traditionen, keine Erbschleicherei auf dem alten Kontinent oder anderswo.

Das Tin Hat Trio steht vielmehr für ein höchst elefantöses musikalisches Gedächtnis, das Identität aus der Gleichzeitigkeit von Erinnerung, kreativer Dickköpfigkeit und einem klaren Gespür für den Augenblick zu schöpfen weiß. Mit Zärtlichkeit und Lust, nie fordernd oder begierlich, eher sacht und schmeichelnd gehen sie mit ihren Motiven, Rhythmen, Sounds und Harmonien um, verleiben sie sich ein und verarbeiten sie zu fein ziselierten Überraschungen, erzeugen ein ungläubig staunendes Wohlgefühl, das seinesgleichen sucht. Introvertiert, fast stoisch wirken die drei, gleichberechtigt in intensivem Zueinander des Musizierens; Mark Ortons Gitarre schlägt einen schwerblütigen Puls, in melancholischer Klarsichtigkeit erhebt sich darüber Rob Burgers Akkordeon, umgarnt von spinnwebgleichen Flagoletttönen der Violine Carla Kihlstedts. Kühle Intellektualität und lebenswarme Ursprünglichkeit vermischen sich zu einem Trip in so manche skurril anarchische Utopie.

Da entsteht eine höchst eigenständige, vergnügliche und erfrischende Melange aus Jazz, Bossa Nova, Bluegrass, Country, Klezmer, Tango, Wiener Kaffeehaus, Avantgarde, B-A-C-H, no wave und wer weiß was noch allem. Kihlstedt, Burger und Orton können auf hervorragende Referenzen verweisen, u.a. Bill Frisell, Don Byron, nicht zuletzt John Zorn. An der derzeit in Arbeit befindlichen neuesten Produktion will Tom Waits unbedingt beteiligt sein. Aber das sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, denn der Verweis auf große Namen erübrigt sich dem, der dieses phänomenale Konzert erlebt hat. Der Applaus hätte für drei Auftritte gereicht.