Ein wahrhafter Stilbildner, eine der wenigen noch lebenden „Legenden“ und insofern auch eine Rarität, ein echter Dinosaurier: diese Rolle verkörpert Slide Hampton heute, da die meisten Gründerväter des Jazz die irdische Bühne verlassen haben, intensiver denn je. Konzerte mit dem 67jährigen Posaunisten fallen normalerweise an jedem Ort dieses Planeten aus dem Rahmen, weil es von seiner Sorte schlichtweg nur noch wenige gibt.
Der Gentleman aus Pennsylvania transportiert ein Lebensgefühl aus einer Zeit in die Gegenwart, die er selbst noch wesentlich mitbestimmte: die Emanzipation schwarzer Musiker in den USA mit Hilfe des Hardbop oder die ornamentale, überschwengliche Klangfülle großer Orchester. Insofern hätte man den erwartungsvollen Besuchern des dicht besetzten Neuburger „Birdland“-Jazzclubs schon eine andere musikalische Umgebung für diesen Locksley Hampton, der den Beinamen „Slide“ wegen seiner unnachahmlichen Virtuosität auf der Zugposaune erlangte, gewünscht. Die „Milano Jazz Community“ jedoch, eine fleißige Formation aus dem Norden Italiens, konnte während des gesamten zweistündigen Auftritts kaum zu ihrem prominenten Kollegen aufschließen. Enorm in der Bewunderung, minimal in der Herausforderung: wenn Semiprofis einem Weltklassemusiker begegnen, ist eben nicht mehr drin.
Vielleicht wären die Defizite der Mailänder Jazz-Combo bei einer Performance ohne Stargast weniger krass zum Vorschein getreten. Das Quintett besteht samt und sonders aus wackeren Instrumentalisten, die ihr Handwerk beherrschen und sich mit Hingabe ins „Great American Songbook“ eingearbeitet haben. Der Pianist Mario Rusca wäre unter anderen Umständen bestimmt ein einfühlsamer Begleiter mit zündendem und harmonisch gut organisiertem Comping, während der Trompeter Emilio Soana noch etwas zu planlos zwischen geschmeidiger Phrasierung und temperamentvollen Growl-Attacken hin- und herpendelt. Auch Gabriele Comeglio könnte bei übersichtlicheren Konstruktionen einen interessanten Tenorsaxofonisten und Riccardo Fioravanti mit mehr in sich ruhenden Figuren einen spannenden Bassisten abgeben.
Einzig der Schweizer Schlagzeuger Alex Balli verfügt über die entsprechenden Mittel, um dem berühmten Namen würdig gegenüberzutreten. Sein uhrwerkgleiches, variables Straight-Timing korrespondiert zumindest streckenweise mit dem souverän gestaltenden, sanft dahingleitenden Spiel Hamptons. „His Majesty“ (wie er von seinen Partnern huldvoll genannt wurde) agiert weniger mit spektakulären Ausdrucksmitteln, als vielmehr mit einem natürlichem Swing und jenem unverwechselbaren, in den Genen liegenden Gefühl für Soul.
Dunkelblau-gleißende Linien voller verhaltener Eleganz in „The Intimity Of The Blues“, hauchzarte, wie Butter in der Sonne dahinschmelzende Glissandi in „My Funny Valentine“ – Slide Hampton nährte seinen gewaltigen Ruf im Hofapothekenkeller mit einer unspektakulären, authentischen Gala, in der er allein für das unterhaltend-künstlerische Element verantwortlich zeichnete. Kaum auszudenken, welche Sternstunde sich ergeben hätte, wenn ihm gleichberechtigte Partner zu Seite gestanden wären.