Timo Vollbrecht „Fly Magic“ | 20.11.2021

Donaukurier | Karl Leitner
 

Achtung, live auf Sendung! Als pünktlich nach den Nachrichten um 22 Uhr 05 die rote Kontrolllampe aufleuchtet, beginnen „Fly Magic“ zum Abschluss des 21. Birdland Radio Jazz Festivals ihr zweites Set. Ab sofort steht Neuburg für vier Stunden im Zentrum der Jazzwelt. Draußen vor der Tür auf dem um diese Uhrzeit menschenleeren Karlsplatz stehen zwei Ü-Wagen des Bayerischen Rundfunks und einer mit einer riesigen Schüssel auf dem Dach.

Über BR-Klassik, Bayern 2 und das ARD-Nachtprogramm geht die Musik, die unten im Gewölbe live gespielt wird, rund um den Globus. Internetradio und Satellitentechnik machen’s möglich. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber man geht von ungefähr 100.000 Hörern aus. Die Stücke des Abends stammen von dem Tenorsaxofonisten Timo Vollbrecht, der an seinem Wohnort Brooklyn die Band „Fly Magic“ unterhält, mit der er Modern Jazz spielt, allerdings nicht auf die herkömmliche Art, sondern unter Verwendung von E-Gitarren, Zusatzgeräten zur Erzeugung von Modulationseffekten, einem ganzen Arsenal an Keyboards und Synthesizern. Keisuke Matsuno an der Gitarre ist vornehmlich für Sounds und Klangfarben zuständig, Elias Sterneseder ist in ähnlicher Mission unterwegs, hinterlässt aber auch am unverstärkten Flügel seinen Fußabdruck, Dayeon Seok an den Drums ist die einfühlsame, rhythmisch jedoch unerbittliche Pulsgeberin. Und über allem erheben sich Vollbrechts samtene Linien, die seltsam über dem von seinen Kollegen gewobenen Teppich zu schweben scheinen.

Es entstehen immer wieder sphärisch anmutende Klänge, durchaus markante oder auch flächige Wolkengebilde, die sich auf ihrem Weg durch den Äther – den sie in diesem Fall ja tatsächlich antreten – konkretisieren, verwandeln, auflösen, bis bisweilen nur eine kleine Melodie übrig bleibt. Vom federleichten Cirrus- bis zu gewaltigen, schweren Stratocumulus-Gebilden ist alles vorhanden, eine zarte, fast unhörbare Gitarre und gleich darauf mächtige Saxofonstöße. Die Band ist wichtiger als der Einzelne, ohne den Einzelnen aber funktionierte die Band nicht. Gemeinsam werden akustische Szenarien entworfen, werden Stimmungen und Bilder erzeugt, wird Spannung aufgebaut, die sich manchmal mit Urgewalt entlädt, manchmal sich aber auch ganz einfach verflüchtigt. Das vielgesichtige „Mala’s World“, das intime „Glitter In The Sky“, das vergnüglich-rockige „Happy Happy“ sind Stücke, in denen die Fähigkeiten Vollbrechts als Komponist deutlich werden. Wer dessen Musik, die sich so wunderbar einfügt in die Nische zwischen den stilistischen Blöcken des Jazz, einmal gehört hat, wird sie so schnell nicht mehr los. Man nennt das wohl Nachhaltigkeit.

Um 23 Uhr erlischt die Kontrolllampe rechts an der Bühne. Die elfte Ausgabe des „Birdland Radio Jazz Festivals“ Geschichte. – Nein, nicht ganz. Aus einem eigens zwei Stockwerke über dem Birdland-Gewölbe eingerichteten Studio wird noch bis zwei Uhr morgens live weitergesendet. Genügend Musik ist angesichts sieben in den letzten Wochen mitgeschnittener Festivalkonzerte ja vorhanden.