Tim Allhoff Trio | 21.01.2011

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Tim Allhoff stutzt. Das hätte er jetzt nicht erwartet. Die Leute stehen draußen immer noch Schlange, obwohl drinnen die Sitzplätze längst zur Neige gehen. Viele Freunde sind gekommen, Theaterbesucher aus der Nachbarstadt und Hardcore-Jazzfans aus allen Himmelsrichtungen. Der kleine Kellerclub präsentiert sich restlos ausverkauft. Normalerweise passiert so etwas dort nur bei Weltklasse-Pianisten wie Esbjörn Svensson oder Carla Bley.

Es ist sein Debüt in Neuburg, im „Birdland“, nur 25 Kilometer von seinem aktuellen Arbeitsplatz Ingolstadt und ganze 60 von seiner Geburtsstadt Augsburg entfernt, mitten in Bayern, aber immerhin einer der wichtigsten und schönsten Jazzclubs der Republik. Hier einmal gespielt zu haben, kommt einem Ritterschlag gleich. Das weiß auch Tim Allhoff. Der 30-Jährige wirkt leicht angespannt, gesteht, dass er sowie seine Mitstreiter Bastian Jütte (Drums) und Andreas Kurz (Bass) sich unheimlich darauf gefreut hätten. Dann beginnt er den Abend so wie er alle Konzerte und auch seine erste CD „Prelude“ (Double Moon) beginnt: mit dem Stück „Winzigwinzigklein“.

Mitnichten ein programmatisches Motto. Denn gerade Tim Allhoff hat sich innerhalb eines Jahres zu einem Riesen, zum Shootingstar des deutschen Jazz entwickelt. Nachdem ihn das führende Fachorgan Jazz thing im Februar 2010 entdeckt und in seiner Rubrik „Next Generation“ präsentierte, ging es Schlag auf Schlag. Allhoff gewann in Mannheim den Deutschen Jazzpreis, schrieb den Soundtrack für den Kinofilm „Das letzte Schweigen“ von Baran Bo Odar und durfte im Herbst auch noch den Jazzförderpreis der Stadt Ingolstadt in Empfang nehmen. Kritiker preisen den smarten, gut aussehenden jungen Mann als Hoffnungsträger, der die völlig überlaufene Form des Pianotrios zu neuer Attraktivität führen könnte. In der Tat fällt der Ansatz des Augsburgers im Zeitalter der jazzpädagogisch trainierten Muskelmänner deutlich aus dem Rahmen. Sein Trio versteht sich weniger als egomanische Schaubühne, sondern als musikalische Gemeinschaft, so filigran agierend wie energisch vital, so aufmerksam kommunikativ wie eigensinnig eloquent.

Daneben arbeitet Tim Allhoff seit 2009 als musikalischer Leiter am Stadttheater Ingolstadt, wo er mit großem Erfolg Musicals wie der „Rocky Horror Picture Show“ ein spektakuläres Klanggewand auf den rockigen Leib schneiderte. Eine feste Erwerbsquelle, gerade für einen chronisch darbenden Jazzmusiker von elementarer Bedeutung. Aber auch zunehmend ein kräftezehrender Spagat. „Seit das Trio stärker nachgefragt wird, ist es sehr, sehr anstrengend geworden. Alles erfordert einen ganz enormen Energieaufwand und ein striktes Zeitmanagement.“ Zwar räumt ihm der scheidende Ingolstädter Intendant Peter Rein viele Freiheiten ein, um seine Karriere voranzutreiben. Doch schon bald, möglicherweise noch in diesem Jahr, werde er sich entscheiden müssen, weiß der Pianist. Für den Jazz. „Weil es eine Herzensangelegenheit ist“.

„Don’t Explain“ statt „Time Warp“, Rampenlicht statt Bühnenschatten, das Abenteuer der Improvisation statt der Professionalität aufnotierter Arrangements. „Der Energiefluss“, sagt Allhof, „ist dort ein völlig anderer. Viel stärker.“ Gerade im Zusammenspiel mit seinen „Traumpartnern“ Andreas Kurz und Bastian Jütte lasse sich dies immer wieder spüren. Er, der das Klavierspielen von Kindesbeinen an autodidaktisch erlernte und nach einer klassischen Ausbildung am Richard-Strauss-Konservatorium in München Jazz-Piano studierte, kannte diese Magie schon vage von seinen Sessions in der Fuggerstadt mit dem Saxofonisten Kai Fischer und dem Schlagzeuger Harry Alt. Parallel zu Sideman-Jobs mit Prominenten wie Larry Grenadier, Jeff Ballard, Dieter Ilg oder Thomas Quasthoff schrieb Allhoff viel und hörte stilbildende Trios wie jene von Bill Evans oder Brad Mehldau: „Die Interaktion fasziniert mich. In der Gleichberechtigung der Musik fühle ich mich geborgen.“

Tim Allhoff mag Standards und Pop. Auch seine neuen Songs, die er erstmals in Neuburg vorstellt, sind Miniaturen mit einer dezenten melancholischen Note. Kammermusikalische Hörstücke, die stark ans Theater erinnern, an Drama, Schmerz, Glück, tiefe Emotionen. Sie tragen Titel wie „Wehmut“, „Serenade For a Weeping Willow“, „Hassliebe“ oder „Heimweh“. Nach Augsburg? „Ich wohne immer noch dort und möchte die Atmosphäre der Stadt nicht missen.“ Von hier aus lebt er seinen Traum: den eines Jazzmusikers, dem die Leute auch zuhören. Endlich.