Till Martin Quartet feat. Anna Lauvergnac | 07.12.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Die Stimme tanzt. Manchmal grazil wie eine Schlange, manchmal etwas linkisch und gerade deshalb nie dem verlockenden Ruf einer plakativen Zurschaustellung ihrer Weiblichkeit folgend. Vielmehr lässt sich Anna Lauvergnac wie eine Feder in die Musik hineintreiben, selbstvergessen, versunken, schwere- und willenlos.

Selten zuvor hat sich ein Künstler im Neuburger „Birdland“-Jazzclub konsequenter der emotionalen Kraft der Musik geöffnet. An der Italienerin ließen sich auch ohne Ton problemlos sämtliche dramatischen Schwankungen des gerade Dargebotenen ausmachen. Die Frau reagiert sensibel wie eine Stimmgabel; biegsam, vibrierend. Sie wirft weg, pendelt, kickt ihr Bein nach vorne; eine Körpersprache, die ebenso befremdet, wie sie gefangen nimmt.

Wenn die Lauvergnac singt, dann bewegen sich ihre Hände wie von selbst, so als würden sie von einem unsichtbaren Bindfaden gezogen. Der Kopf neigt sich zur Seite, seltsam steif, fast hölzern. Ihr Gesang schneidet mal scharf wie ein Messer durch auf Wohlklang geeichte Nervenstränge, dann hüllt er das Ohr wieder in eine wohlig-samtene Weichheit ein, jede Note bis zur bitteren Neige auswringend.

„Ich lasse ihr allen Raum“, wird Anna Lauvergnacs kongenialer Partner Till Martin nach Ende des Konzerts sagen. Was bleibt dem Tenorsaxofonisten auch anders übrig, angesichts der ungeheuren Bühnenpräsenz dieses Energiebündels mit dem Diva ähnlichen Habitus? Wie die Chanteuse schon solch harmlose Evergreens wie „But not for me“ oder „You must believe in Spring“ durch ihr intimes Brummeln und Hauchen zu einem verführerischen Stück akustischer Erotik transformiert, das muss alle Sinne ganz zwangsläufig in Alarmzustand versetzen.

Eine starke Frau stellt ihre ganze Verletzlichkeit zur Schau, stülpt einfach ihre Seele nach außen. Atemlose Balladen wie „Angel Eyes“ oder das rastlose Schlaflied „Close your Eyes“ gehörten deshalb an diesem Abend ausschließlich Anna Lauvergnac. In rigiden Up-Temponummern versucht sie sich später gegenüber der homogenen, druckvoll groovenden Band zu positionieren, erreicht aber nur ganz selten einen ähnlichen Intensitätslevel.

Stattdessen dürfen in Nummern wie „Aqua di Mare“ Drummer Bastian Jütte sowie Bassist Ernst Techel zeigen, wie eine präzise tickende Time funktioniert, und Till Martin mit luftiger, an Stan Getz erinnernder Phrasierung bunte Girlanden um das Organ der Sängerin knüpfen. Angesichts der erneuerbaren Erkenntnis, welch einen hervorragenden Begleiter immer wieder der Pianist Tizian Jost abgeben kann, bleiben dessen feine Kollegen freilich ein wenig im Windschatten von dessen Rasanz.

Dass das prickelnde Knistern im Hofapothekenkeller erst nach zwei Zugaben abebbt, mag Beweis genug für die vokalen Verführungskünste der kapriziösen Dame am Mikrofon sein. Mit dem klassischen Jazzgesang hat ihre entwaffnende Darbietung nur noch den Ausgangspunkt gemein. Jede Wette: Die Lauvergnac wird auch diesen auf ihrem Weg zu unerforschten Ausdrucksformen bald hinter sich lassen.