Harry Sokal`s Roots Ahead | 01.12.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Saxofon, Bass, Schlagzeug. Kein Piano als wohlklingendes Harmonie-Ruhekissen. Archaik in Reinkultur, die wegen ihrer radikalen Konsequenz eher abschreckt, als zu begeistern. Drum verliert sich zu einem solchen Konzert im Neuburger „Birdland“-Jazzclub auch allenfalls eine Handvoll Zuhörer, drum wagen kaum mehr Musiker den Schritt in dieses unergründliche Bermuda-Dreieck der Improvisation.

Harry Sokal bildet wie so oft die Ausnahme dieser in erster Linie kommerzorientierten Regel. Den Wiener Tenor- und Sopransaxofonisten zog es auf der Suche nach seinen Wurzeln sogar förmlich in jenes unergründliche schwarze Loch hinab, wo nur mehr die Essenz von Noten, Rhythmen und Pausen zählt. Er unternehme dabei eine Zeitreise, kündigt der 47-Jährige erstaunlich unpathetisch sein musikalisches Himmelfahrtskommando an. Einen Trip zurück in die Vergangenheit, als der legendäre Trompeter Art Farmer noch neben ihm auf den Bühnen stand und Leuchtturm artige Geistesblitze in einen wuseligen, brausenden Klangsturm aussandte.

Nun braust der exorbitante Bläser mit dem nonchalanten Cafehausschmäh alleine und fahndet im entschlackten Interplay nach seinem musikalischen Über-Ich. Wie ein Hurrikan, in dessen Auge die gesamte Weisheit der Musik durcheinander gewirbelt wird. Oder besser: Eine der reichhaltigsten Saxofonstimmen Europas auf Abfangkurs.

Dabei kämpft der Mann permanent gegen sein Horn, bäumt sich auf, stemmt sich dagegen, biegt, streckt und duckt sich, schweißgebadet, in jedem Ton plastisch die enorme Körperlichkeit dieses Instrumentes aufzeigend. Es ist, als müsse die Kreatur stets aufs Neue gezähmt werden, obwohl sie nie wirklich zu beherrschen ist. Harry Sokals Zähmungsversuche sind mit die effektivsten, ohne dem Tier freilich seine unverwechselbaren Charakteristika und seine lebensnotwendigen Freiheiten zu rauben.

Gerade eine minimalistische Formation erlaubt ihm ein Maximum an Beweglichkeit sowie eine strukturelle Klarheit, die auf Anhieb fasziniert. Der amerikanischste unter allen österreichischen Jazzmusikern schafft es, dezidiert bluesige („Passion Dance“), ruhige („Be my Love“), beseelte („Soul Eyes“) oder freie („Drum Thing/The wise One“) Atmosphären in einen spartanisch ausgestatteten, fast abweisend nackten Raum zu packen. Trotz permanenter Stimmungswechsel forscht er hartnäckig nach einer Symbiose aus existentialistischer Strenge sowie ästhetischer Freiheit, bleibt dabei aber – und das ist sein eigentliches Verdienst – immer und überall von der Tradition her nachvollziehbar.

An diesem Vorstoß in die unendlichen Weiten der Jazzgeschichte beteiligen sich mit großen, mächtigen Schritten Bassist Georg Breinschmid, der seinen Korpus ungewöhnlich hölzern – nicht im metaphorischen Sinn – klingen lassen kann, sowie das chargierende Kraftwerk Mario Gonzi an den Drums. Beide gleichfalls aus Wien und sich nicht zu schade, um als Zugabe mit „Kaleidoskop“ ein etwas anderes, gar garstiges Wienerlied zu kredenzen.

So viel Mut tut richtig gut und hält vielen falschen Originalen in Übersee einen Spiegel vor. Tu, felix Austria für solche Jazzonauten!