Till Brönner – Jazzthetik Aprilausgabe 2006 | 01.04.2006

Jazzthetik | Reinhard Köchl
 

Sunnyboy, Frauenschwarm, cleveres Kerlchen, Multitalent, Qualitätsmarke: Was haben sich Medienschaffende nicht schon alles ausgedacht, um einem Phänomen wie ihm auf die Schliche zu kommen. Dass er in Spiegel, Stern und Zeit ebenso regelmäßig thematisiert wird wie in der Boulevardpresse oder in der Geschäfts- und Hausfrauenpostille Brigitte, dass er bei Beckmann talkt, bei Biolek kocht, sich bei Götz Alsmann und Christine Westermann durch deren Kultsendung Zimmer frei blödelt, dass er Hildegard Knefs letztes Album Aber schön war es doch produzierte, ebenso wie das Gesangscomeback von Manfred Krug oder den Swing-Exkurs der No Angels, dass er mit DJs an Turntables genauso zusammenarbeiten kann wie mit Streichern, dass er mit dem Tenor Thomas Quasthoff aufnehmen will, was er mit Udo Lindenberg bereits getan hat (Einsamkeit), dass er sogar mit Stefan Raab auf einer katholischen Jungenschule in Bad Godesberg in einer Schülerband spielte – all das prägt das öffentliche Bild eines der wenigen übrig gebliebenen deutschen – jawohl – Popstars internationalen Zuschnitts nach Grönemeyer, Westernhagen und den Fanta 4. Doch was ist mit dem Jazzmusiker Till Brönner?

Die Zeiten dürften abgehakt sein, in denen altvordere Jazzpolizisten ihr Mütchen an dem kessen Burschen kühlten, der durch seinen kometengleichen Aufstieg eher Befremden in der Kaste der Unsichtbaren denn Begeisterung auslöste. Als ihm prominente, legendengleiche Kollegen aus einer anderen Generation neiderfüllt und frustriert die Zugehörigkeit zum Olymp der improvisatorischen Tugend absprechen wollten, ohne überhaupt jemals einen Ton aus seinem Horn gehört zu haben. Wer Erfolg hat, ist automatisch verdächtig. Da fiel die böse Metapher vom deutschen Marsalis. Sie nannten ihn einen opportunistischen Weichspüler, nur weil er vom fast sakral gehüteten intellektuellen Anspruch abrückte und sich auf seinen weltlichen Instinkt verließ. Weil er sich vornahm, das vor Traditionen starr zementierte Jazz-Gebäude mit allerlei Anknüpfungen und Querverstrebungen in eine zeitgemäße Architektur zu bringen. Und dabei auch Platten zu verkaufen. Mehr als jeder andere Trompeter zuvor. Inzwischen wissen die Kollegen längst, dass Brönner ihnen gut tut, selbst wenn sie ihn nicht ausstehen können. Es ist nämlich keineswegs bloß ein einzelner, blendend aussehender Trompeter, der da plötzlich Beachtung findet, sondern das ganze blasse Rudel neben ihm. Der Jazz im Allgemeinen rückt wieder in den Mittelpunkt, der unverkrampfte Zugang zu Swing, Standards, Improvisationen, klanglichen Abenteuern, schlicht die Entdeckung von etwas Anderem, das in einer überflutenden Reizwelt auch Spaß machen kann und neue, jüngere Zielgruppen erschließt. »Die Freiheit im Jazz, das ist wohl schon immer gewesen, bestehende Grenzen einzureißen. Zu wissen, von welcher Straße man eigentlich abkommen möchte«, sagt Till Brönner in A Night In Berlin (SPV), seiner ersten DVD unter der Regie von Grimme-Preisträger Volker Weicker, die ihm auf Anhieb den DVD-Champion 2005 einbrachte.

Auf dem langen Weg von Berlin nach Neuburg sind Till Brönner und seine Crew nicht von der Straße abgekommen, trotz heftigen Schneestürmen im März, Verkehrschaos auf der Autobahn, vereisten Landstraßen. Ausgerechnet in die kleine bayerische Donaustadt, die seit 1958 einen der ältesten Jazzclubs der Republik beherbergt, will sich der 35-Jährige für eine Woche zurückziehen, um dort im Keller unter der Renaissance-Hofapotheke akribisch das Programm seiner Ende April erscheinenden CD Oceana (Verve/Universal) einzuschleifen, bevor er damit auf Tournee geht. Auch das ist Brönner: Ein harter, disziplinierter Arbeiter, der nichts dem Zufall überlässt, ein idealistischer Rationalist, der weiß, dass ohne Schweiß, Blut und Tränen kein Traum verwirklicht werden kann. Und ein Mensch, dessen klare Prinzipien unbedingt Loyalität und Treue beinhalten. Der 1971 in Viersen geborene Superstar hat nie vergessen, dass Manfred Rehm, der Chef des Birdland-Jazzclubs, 1995 dem damals noch unbekannten Jungspund als einer der Ersten eine Chance gab, auf einer großen Bühne aufzutreten. So entwickelte sich ein reger Kontakt, eine Art Freundschaft. Der Vielbeschäftigte sieht es als angenehme Pflicht, regelmäßig hierher zurück zu kommen, zu überschaubaren Konditionen Konzerte zu geben oder Trompetenworkshops zu halten. »Ihr wisst hoffentlich alle, was ihr an diesem Club habt«, wird Brönner den Leuten in den beiden völlig ausverkauften Premierenkonzerten am Ende der sieben Tage von Neuburg von der Bühne aus ins Gewissen reden. Und als müsse man es ihnen noch mit Nachdruck einhämmern, hat er während des Work In Progress-Prozesses noch einen wuseligen Newcastle Boogie geschrieben, der seine Welturaufführung erlebt. Vielleicht ist es dieses ganz besondere Näschen für die Situation, das Till Brönners Ausnahmestellung ausmacht: Im richtigen Moment genau das Richtige zu tun. Das, was die Menschen exakt jetzt sehen, fühlen und hören wollen. Und das wirklich Falsche, das Unpassende einfach zu lassen. Klingt einfach. Wenn es nur so einfach wäre.

Die Tage in Neuburg seien »Luxus pur« gewesen, schwärmt die Marke, wie ihn die labeleigene Zeitung JazzEcho ziemlich unbescheiden nennt. Ruhe, eine malerische Altstadt, ganz in Schnee getaucht, ein kuscheliges Hotel, gutes Essen, Proben, wann und so lange man will. Ein Bösendorfer-Flügel für Pianist Daniel Karlsson, ein Gretsch-Drumset für Sebastian Merk, ausreichend Verstärker für Gitarrist Johan Leijonhufvud und Bassist Christian von Kaphengst, Mikros, Erfrischungen. Alles da. Keiner stört. Bis auf den Temperaturunterschied und die Musiker fast eine Situation wie im November 2005, als Till mit Produzent Larry Klein (Joni Mitchell, Leonhard Cohen, Madeleine Pèyroux) in Hollywood Oceana aufnahm. In einem Studio direkt am Atlantik. »Aus dem ganzem Westcoast-Jazz konnte man schon immer den Einfluss der Sonne heraushören«, schwärmt Brönner. »Immer warm, etwas für die Seele. Vielleicht auch greifbarer als alles andere, nicht unbedingt mit dem Anspruch etwas zu revolutionieren, aber dabei so stilbildend wie wenig andere Sachen!« Diese Atmosphäre wollte er auch auf seinem mittlerweile zehnten Studioalbum einfangen. Etwas ganz Besonderes. Die Sehnsucht nach einer besseren Welt. Traumfabrik Hollywood, der Ort, an dem Meisterwerke von zeitloser Schönheit, geniale Kombinationen von bewegten Bildern und Musik entstanden, an dem der Fantasie gigantische Flügel wuchsen. »Je mehr ich mich damit befasst habe, um so mehr wurde mir klar, dass so etwas eigentlich viel schwerer ist, als sich ständig in diese Individualistenriege zu stellen, bei der es zum guten Ton gehört, eigentlich grundsätzlich alles anders zu machen.« Oceana sollte einfach werden, fokussiert auf das wirklich Wesentliche. Kein überflüssiger Ton, kein trendiger Groove, glasklar in seiner Struktur, wie ein wolkenloser, sternenübersäter Nachthimmel. Herrliche Melodieströme, die prickeln wie kühler Regen auf heißer Haut. Larry Goldings Orgeltrio sowie Gary Foster (Altsaxofon) begleiten, Carla Bruni, das singende Topmodel aus Frankreich, säuselt Cohens In My Secret Life, Pèyroux leidet hinreißend neben Brönners gleichmäßig atmender Trompete in Hank Williams’ I’m So Lonesome I Could Cry, und der Antiheld der Jazz Generation X singt sogar wieder selbst: Nike Drakes River Man. Einfach. Einfach schön. Atemberaubend schlicht. Doch so einfach ist es, wie schon gesagt, mitnichten.

Will man bei Till Brönner, diesem Gewinnertyp par excellence, eigentlich gar nicht glauben. Mittlerweile hat er Phase drei seiner persönlichen Entwicklung erreicht. Nach der ersten, die sich von einer seltsam-pubertären Liebe für bayerische Blasmusik zu den Big Bands der 70er Jahre drehte und in den ersten Gehversuchen bei Peter Herbolzheimer sowie dem RIAS-Tanzorchester in Berlin mündete, folgte Phase zwei: Der junge Möchtegern, der Traditionalistenschreck, die Reizfigur der alten, klar geordneten Jazzszene. Jetzt also die Rehabilitation, verbunden mit der überfälligen Anerkennung. Das Gefühl, angekommen zu sein, endlich frei von Zwängen, bereit, sein Ding durchzuziehen. »Die Phasen, die der Öffentlichkeit auffallen und die, die man selber durchlebt, unterscheiden sich. Ich selber fühle mich schon in Phase vier von möglichen sechs. Irgendwann habe ich aufgehört, meine eigene Rolle zu hinterfragen, mich an diesem selbst verordneten Spießrutenlauf durch eine Szene zu beteiligen, die sich ganz gern selbst bestäubt. Ich halte es für kontraproduktiv, wenn einen etwas so sehr beeinflusst, dass er Gefahr läuft, gegen seine gottgegebene Natur zu arbeiten. Ich bilde mir ein, dass das, was ich jetzt gerade mache, das ist, was ich auch wirklich bin. Nach dem That Summer-Gesangsalbum hätte ich auch die eisenharte Popschippe à la Michael Bublé drauflegen können, ganz auf Kompatibilität in allen Bereichen angelegt, mit Single, Produzententeams und dem ganzen Drumherum, dass es eben überall reinpasst. Wollte ich nicht. In der Plattenbranche existiert fast schon ein Angst vor Dingen, die zu persönlich geraten. Angeblich ist so etwas nicht vermarktbar. Doch genau das Gegenteil trifft zu! Es ist der beste Weg, um mit sich selber ins Reine zu kommen, aber auch um zu Menschen durchzudringen.« Es mag ein wenig strategisch klingen, entspringt aber einem tiefen Bauchgefühl, wenn Till Brönner feststellt, dass langfristige Erfolge nur solchen Künstlern gelingen, »die sich selbst ganz nahe sind«.

Gerade in den vergangenen Jahren, als sie ihn zum neuen Messias einer massenkompatiblen Kultur zwischen Jazz, Pop und Medienspektakel erkoren, da türmte sich vor dem Trompeter eine scheinbar übermächtige Erwartungshaltung auf, die es galt, komplett einzureißen. Mit einem bemerkenswerten Erkenntniswert: »Ich bin Jazzmusiker, ganz egal, wie das andere empfinden. Mindestens 80 Prozent der Ingredienzien in meinen Projekten sind definitiv Jazz.« Norah Jones: Die sei ein probates Beispiel für die Auswirkungen solcher Hypes, findet Brönner. Etwas, das dem Männern und Frauen im Rampenlicht selbst am meisten Angst einjagt. »Die Gefahr besteht doch darin, dass man von ihr in den nächsten zehn Jahren überhaupt nichts mehr hören wird. Zum einen, weil sie nach ihren Grammys gar nicht mehr muss, möglicherweise auch weil sie nichts mehr draufsatteln kann und dann eben nicht mehr gefragt sein wird. Irgendwann in zehn Jahren steht Norah Jones vielleicht wieder in einer kleinen Bar in Manhattan, singt, fühlt sich wohl und findet zu sich.«

Gelassenheit hat bei Till längst den Aktionismus zurückliegender Phasen abgelöst. Deshalb wirken die Erlebnisse in Phase vier um so intensiver: »Einfach nur spielen und dabei erfreut feststellen, wie sich ganz viele Türen öffnen, wie sich Kontakte ergeben, die mir früher einfach vorenthalten wurden.« In Phase fünf soll dann das Erreichte auf eine internationale Plattform gelangen. Was automatisch die Vorbereitung auf die sechste und letzte Evolutionsphase beinhaltet: Völlige Unabhängigkeit. Die eigene Stimme etablieren, ein unverwechselbares Identitätsmerkmal schaffen, ohne jeden Zeit- und sonstigen Druck. Etwas, das kein anderer tut und kann. Nicht zu verwechseln mit Trend. »Das halte ich für ein ganz gefährliches Wort, etwas das ich am meisten verabscheue. So etwas impliziert nur eine vorübergehende Erscheinung.« Wenn schon Trend, dann der typisch deutsche: hart arbeiten, am Ball bleiben, sich laufend hinterfragen. Till Brönner lacht. Typisch deutsch – das gefällt ihm. Weil es so eigentlich nicht stimmt und dennoch eine Erklärung dafür liefert, wie solch ein Mysterium in einer eigentlich jazzfreien Zone mit ihrem anhaltenden, kulturellen Nachkriegskomplex überhaupt zustande kommen konnte.

Hin und wieder stört das Telefon im Birdland-Büro unser gut einstündiges Gespräch. Es ist Mittwoch, kurz nach 18 Uhr. Ein Mann aus Frankfurt, der sich mit dem Auto Richtung Oberbayern durchkämpfen will, um hier in gut drei Stunden sein Idol leibhaftig auf der Bühne zu sehen, gibt über den eingeschalteten Anrufbeantworter pausenlos Lageberichte von den verschneiten Autobahnen durch. Einmal sagt der Hardcore-Fan enttäuscht ab, weil sich die Blechkarawane bei Aschaffenburg staut, dann wieder verbreitet er Optimismus, »weil’s jetzt bis Nürnberg flutscht. Heben Sie mir den Platz bitte auf jeden Fall auf!« Till und sein Bruder Pino (28), seit kurzem im Brönner-Management, hören aufmerksam und verblüfft zu. »Mensch, da müssen wir was machen, wenn der tatsächlich noch kommt, den müssen wir gebührend begrüßen!« Der Trompeter nimmt sich wieder mal selbst in die Pflicht. So oder so wird es ein gelungener Abend. Es könnte so einfach sein. Manchmal ist es das auch.