Till Brönner & Dieter Ilg, feat. Johan Leijonhufvud | 17.05.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Jede Diskussion über Tradition, Innovation und Kommerz endet irgendwann bei seinem Namen. Der Mann spaltet eine Nation genüsslich mit Experimenten zwischen Soulpop und Hip Hop und garniert alles mit einem brillanten Marketingkonzept, bei dem Puristen schier die Galle hochkommt.

Den kollektiven Neidfaktor einer ganzen Branche bekommt Till Brönner, der umstrittenste wie cleverste deutsche Jazzmusiker der vergangenen Jahrzehnte, derzeit wieder mit voller Breitseite zu spüren. Für sein aktuelles, mit Samples und Loopes nur so gespicktes Album kassiert er die Prügel der Jazzpolizei – aber auch massenhaft Kohle einer immer größer werdenden, jüngeren Klientel. Für alle jene, die mit des Trompeters Tun eine sträfliche Vergeudung von Talent, Verrat an den Idealen Louis Armstrongs und den schleichenden Untergang des Abendlandes verbinden, vollzog sich am Pfingstwochende relativ unbeobachtet, ausgerechnet in der Region Ingolstadt, ein Comeback der wundersamen Art.

Während Brönners Genius am Samstag im Audi-Forum beim Deutschlandstart des Filmes „Jazz Seen“ (unter Anwesenheit von Regisseur Julian Benedikt) anhand des brillanten Hardbop-Soundtracks nur indirekt zu erfahren war, zeigte er tags zuvor im Neuburger „Birdland“-Jazzclub mit dem Freiburger Bassisten Dieter Ilg und dem schwedischen Gitarristen Johan Leijonhufvud höchstpersönlich allen Kritikern pfiffig eine lange Nase: „Ätsch, ich spiele doch noch Jazz. Aber ich lasse mir von niemandem vorschreiben, wann und wo!“

Das ist auch gut so. Denn der 31-jährige Berliner braucht trotz seiner jungen Jahre niemandem mehr etwas zu beweisen. In seinem neuen Spaßtrio genießt Brönner das besondere Ambiente des „Birdlands“, das er zuletzt 1995 mit Johnny Griffin besucht hatte, und setzt seinen superben, gedämpften Trompeten- oder Flügelhornton auf die Spitze eines wellenförmigen Grooves, der langsam den gesamten Hofapothekenkeller flutet.

Was aber noch längst nicht bedeutet, dass Brönner, Ilg und Leijonhufvud ein Friedensangebot unterbreiten und sich auf eingefahrene Mainstreamgleise zurückziehen. Die Edelballade „My Funny Valentine“ sprudelt druckvoll pochend los, der Bebop-Tempo-Elchtest „Cherokee“ dagegen, bei dem die Guten ins Töpfchen und die Schlechten aufs Arbeitsamt kommen, gerät aufreizend langsam, fast im Zeitlupentempo, und mit dem Kinderlied „Ich geh mit meiner Laterne“ verliert die Heimkehr des verlorenen Sohnes in gelobte Jazzland gleich vollends die passende Form.

Smarte Provokation lautet auch in Neuburg Till Brönners Devise. Und dem gut aussehenden Kerl gelingt dies einmal mehr auf verblüffend grandiose Weise. Denn Brönners eigentlich Stärke ist die Vielseitigkeit. Das Chamäleon der Klangfarben gibt sich in diesem Trio als Windhauch voll sensibler Kraft, der ein unsichtbares Band um den metallen-lyrischen Ton von Leijonhufvuds Gitarre und die pointierten, intelligenten Drops von Ilgs Bass wickelt. Der Wunderknabe singt sogar (und wirkt dabei in seinem ganzen liebenswürdigen Dilettantismus – natürlich – wie Chet Bakers Sohn), als er Kermit, den Frosch, auf einen Verstärker hockt und ihm seine Stimme leiht: „It´s not that easy being green“.

Doch, das hat was: Till Brönner, ganz ohne Elektronik, mit einem famosen Dieter Ilg und einem absolut gleichwertigen Johan Leijonhufvud, was das Publikum auch mit langen Ovationen honoriert. Aber ein Dauerzustand lässt daraus mitnichten ableiten. Allenfalls eine kleine, aber quicklebendige Eintagsfliege.