„Ich war schon mal hier im Birdland. Das ist zwölf Jahre her. Ich hoffe, ich habe seither etwas dazugelernt.“ – Macht der Mann Witze? Da ist mit Vijay Iyer aus New York einer der besten Jazzpianisten seiner Generation in Neuburg zu Gast und demonstriert seine Ausnahmestellung auch gleich mit einem in jeder Hinsicht überragenden Konzert, und dann so eine Aussage? Reines Understatement, ganz klar. Noch dazu, nachdem er ja nicht nur als Pianist glänzt, sondern sogar noch dem großen Werk „Das Piano Trio im Jazz“, an dem alle wichtigen Pianisten ihrer Zeit mitgeschrieben haben, einen Eintrag hinzufügt.
Wenn man Iyer zuhört, unternimmt man automatisch eine Reise durch die Geschichte des Jazz. In seinem Spiel und mit seinen Kompositionen verbindet er Avantgarde, Groove, Pop, Modern Jazz und Tradition, lässt aber auch Einflüsse indischer Musik zu. In jedes einzelne Stück seiner beiden Alben „Uneasy“ von 2021 und „Compassion“ von 2023, um die es im Birdland hauptsächlich geht, wimmelt es nur so von Zitaten, Stilbrüchen und Genrewechseln. Was als vermeintliche Ballade leise und behutsam beginnt, kann durchaus mit wuchtigen Klangergüssen enden. Verführerische kleine Melodien werden mit drängenden Grooves kombiniert, Rhythmische Finessen laufen aus in sanft fließenden Bögen und immer wieder meint man, gerade eben eine Passage aus einem Film, aus einem Standard oder ein Motiv aus einer Popnummer entdeckt zu haben, ehe Iyer sich schon wieder anderem zuwendet. Wer Vielseitigkeit ohne jede Scheu und Berührungsängste sucht, ist bei ihm an der richtigen Adresse. Und was das Überraschende ist: Was ihm auch spontan einfällt, passt an genau die von ihm gewählte Stelle.
Vijay Iyer ist ein Virtuose, seine beiden Kollegen sind das freilich auch. Solistisch sind sie über jeden Zweifel erhaben. Bei dem, was Linda May Han Oh am Kontrabass anstellt, stockt einem der Atem, wie sie zusammen mit dem technisch absolut perfekten Jeremy Dutton am Schlagzeug Druck aufbaut mit ganz wenigen oder nur einem einzigen Ton, ist ebenso spektakulär wie die immense Dichte im Spiel des Drummers. Nicht umsonst heißt eine Komposition nach der Pause „Maelstrom“. In einen solchen fühlt man sich tatsächlich etliche Male geworfen, wenn die Band fast anfängt zu schweben, die Musik beginnt, ein Eigenleben zu entwickeln.
The Vijay iyer Trio „Night And Day“ als eine vor spontaner Kreativität nur so strotzende Adaption eines Klassikers. „Overjoyed“ als lyrische Verbeugung vor Chick Corea’s Version einer Stevie Wonder-Nummer. „Combat Breathing“ und „Abundance“ als Belege für Iyers herausragende Stellung als Komponist und schließlich das noch unveröffentlichte „Kite“, eine Hommage an den am 6. Dezember 2023 bei einem Luftangriff auf Gaza getöteten palästinensischen Dichter Refaat Alarer und dessen letztes Gedicht vor seinem Tod mit dem Titel „If I Must Die.“ – Der Abend ist nicht nur voll von Höhepunkten, der Abend ist ein Höhepunkt. Im Herbstprogramm des Birdland Jazzclubs, in der Reihe Art Of Piano, im großen Lexikon der Piano Trios, dem Iyer ein neues Kapitel hinzufügt, in dem er auf die bereits veröffentlichten aufbaut und ihnen seine Sichtweise an die Seite stellt. Man sollte Begriffe wie „sensationell“ oder „phänomenal“ ja nicht überstrapazieren, in diesem Falle allerdings kommt man um sie nicht herum.