The Vibe | 14.01.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Hübscher Bandname. Lässt sich eine Menge hineininterpretieren. Übersetzt bedeutet „The Vibe“ so viel wie Stimmung, Atmosphäre, Ausstrahlung. Im negativen Sinn können es auch „Bad Vibes“ sein. Letzteres bleibt beim Birdland-Gastspiel der Ausnahmekönner, die sich unter diesem Motto zusammengeschlossen haben, Gott sei Dank während der gesamten 120 Minuten außen vor. Die Chemie zwischen Musikern und Publikum hat zu jeder Sekunde gepasst!

Es sind diese Momente, auf die man wartet, immer und immer wieder, oft wochen- oder monatelang. Wenn sie dann da sind, saugt man sie gierig wie ein Ertrinkender auf. Wie die vier da oben stehen, wie sie Druck machen, ohne schlampig zu agieren, wie sie aufs Gaspedal drücken, ohne sich dabei selbst zu überholen, und wie der Funke schon nach wenigen Takten auf den einmal mehr voll besetzten Keller unter der Hofapotheke überspringt, das könnte genauso gut im Village Vanguard, im Smallʼs oder einem anderen legendären Club in Manhattan passieren. Ein Beleg für die Extraklasse europäischer Jazzmusiker vom Schlage des serbischen Drummers Vladimir Kostadinović, des Kölner Pianisten Martin Sasse, des mazedonischen Bassisten Martin Gjakonovski und vor allem des ungarischen Tenorsaxofonisten Tony Lakatos, aber auch für die einzigartige Atmosphäre des Birdland-Jazzclubs, die sich längst keinen Deut mehr von den weltweiten Top-Adressen unterscheidet.

Diesmal wirkt alles wie aus einem Guss, spielfreudig, voller Lust auf das Momentum. Die Protagonisten der perfekten Stimmung feuern exzessive Soli locker aus dem Hüftgelenk, immer wieder begleitet von lasziven „Yeah“-Zwischenrufen aus dem Auditorium oder von der Bühne. Diese Musik schwitzt, vibriert, lässt einen nie abschalten, und das obwohl das Quartett samt und sonders Eigenkompositionen serviert, die allesamt wie gut geölte, längst etablierte Standards aus dem Great American Songbook funktionieren.

Woran das liegt? Ganz sicher an der instrumentalen Brillanz der Instrumentalisten, die aber nie zum Selbstzweck ausartet. Mit einem Tenorsaxofonisten wie Tony Lakatos gelingt es, Themen wie Kostadinovićs „Balkan Flood“ oder Gjakonovskis „Brunoʼs Birthday Blues“ so eingängig ins Hirn zu meißeln, dass sie sich irgendwann zu unausrottbaren Ohrwürmern entwickeln. Überhaupt Lakatos: Der Mann mit dem roten Leder-Porkie-Pie-Hut kann wirklich alles – harten Drive, rasende Synkopen, atemberaubende rhapsodische Läufe, butterzarte Balladen (schöner, wärmer und leuchtender wie in „Little Brown Book“ klang selten ein Saxofon), Coltrane, Rollins, Michael Brecker. Er kann gut spielen, außergewöhnlich gut, fantastisch. Und improvisieren. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass sich die Big Band des Hessischen Rundfunks sogar mit dem Gedanken der Auflösung beschäftigt haben soll, nachdem Lakatos dort nach fast 30 Jahren 2021 seinen festen Job kündigte, um „frei“ zu sein – weil es niemanden gab, der in adäquat ersetzen kann.

Zumindest in dieser Band gelingt es seinen Komplizen, das freundliche Kraftpaket nicht ganz aus den Augen zu verlieren. Martin Sasse etwa fliegt mit seiner stupenden Technik, bei dem hin und wieder auch die Linke die Melodieführung übernimmt, als unverschämt groovender Geschichtenerzähler durch die episch langen, aber nie langweiligen Stücke. Einen Schlagzeuger wie Vladimir Kostadinović mit seinem feinen Gespür für das Notwendige, Machbare und Unerwartete muss man derzeit in der gesamten Jazzszene mit der Lupe suchen, während Martin Gjakonovski mit seinem oft an Ray Brown gemahnenden, vollen Walking-Ton die rasante Berg- und Talfahrt auf immer Kurs hält. Ein Thema wie „Blues For George“ zum Finale Furioso etwa lässt ein Wahnsinnssolo nach dem anderen herauspurzeln – erst der Pianist himself, dann Lakatos und schließlich Kostadinović. Unbestritten ist freilich, dass eine wesentliche Rolle im interaktiven Jazztheater an diesem Abend dem fachkundigen Publikum zufällt. Es „spielt“ im besten Wortsinn mit. Ohne dessen unmittelbares Feedback würde ein Abend wie dieser nämlich nicht einmal halb so gut und intensiv gelingen. Jede Menge good Vibes also!