Dave Douglas Quintet | 13.01.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

So ist das bisweilen. Man hat ein Ziel vor Augen und es gibt verschiedene Arten, es zu erreichen. Der Weg über den Pass mag mühsamer sein als der im Tunnel unter dem Berg hindurch, aber er ist auch spannender, erlebnisreicher, schöner. Gerade auch im Jazz ist der Weg oft das eigentliche Ziel. Ein Beispiel ist das Konzert des Trompeters und Komponisten Dave Douglas aus New Jersey und seines Quintetts im ausverkauften Birdland Jazzclub in Neuburg.

Bei jeder Komposition aus seinem brandneuen Album „Songs Of Ascent“, aus dem sich das Konzert hauptsächlich speist, ist die Zielvorgabe klar umrissen, nicht aber der Weg, den die Band einschlägt, es zu erreichen. Zwischen den ausnotierten Teilen wählen sich die Solisten – und das sind ausnahmslos alle Mitglieder dieser glänzend besetzten Formation – die Streckenführung selbst, jeder für sich auf absolut originelle Weise. Nick Dunston am Kontrabass als stets pulsierender, in regelmäßigen Abständen übersprudelnder Quell, die rasant agierende, ja, quecksilbrige Marta Warelis am Flügel, der enorm vielseitige und farbenreiche Rudy Royston am Schlagzeug und schließlich der fintenreiche Jon Irabagon am Tenorsaxofon, der eine echte Leidenschaft hat für Growls, High Notes und ähnliche spezielle Techniken und vor Energie fast zu bersten scheint. Und über allem thront Douglas, der blendende Techniker und ewige Sucher nach neuen Wegen, nach nicht erwartbaren Kombinationen vermeintlich bekannter Stilistiken und Kompositionsschemata. Wobei aber bei aller individuellen Klasse immer offensichtlich ist: Douglas ist Primus Inter Pares, der eigentliche Star ist an diesem Abend eindeutig die komplette Band.

Natürlich ist es ungemein spannend, wenn Mainstream und Free, Bebop und New Orleans, Cool und Soul Jazz aufeinandertreffen und hinter jeder Wegbiegung sich neue Landschaften auftun, liebliche und zerklüftete, friedlich anmutende und sturmumtoste, wenn die Band fast sphärisch anmutenden Melodien nachhängt und man gleich darauf meint, jeder hätte einen Schwarm Hummeln im Hintern. Das erste Set mit einem langen, gut vierzigminütigen Block, in dem einige Kompositionen zu einer Art Suite zusammengezogen werden, zeigt dies besonders schön. Die Anordnung der Einzelteile funktioniert zwar ähnlich wie bei durch harte Stopps und Breaks voneinander abgetrennten, eigenständigen Movements, ergibt aber am Ende ein absolut schlüssiges Bild. Die Struktur ist abgesprochen, was in den einzelnen Sektoren passiert, ganz und gar nicht, und das Gesamtergebnis ist dermaßen mitreißend, dass ein ums andere Mal Szenenapplaus aufbrandet.

Nicht gefällig, aber nachvollziehbar. Anspruchsvoll, aber nicht elitär. Und dann auch noch witzig, Da endet das erste Set mit einer rhythmisch halsbrecherischen Fanfare, unisono auf den Punkt gebracht von der gesamten Band und heftigst bejubelt vom kompletten Auditorium, und zwanzig Minuten später, nachdem alle im Saal neue Getränke geordert und die wichtigsten Neuigkeiten ausgetauscht haben, nimmt die Band den Faden just an identischer Stelle wieder auf, um eine neue Runde auf ihrem abenteuerlichen Weg zu drehen. Es ist der pure Genuss, und ja, man müsste unbedingt viel öfter mal den Weg über den Pass nehmen.