Jemand, der an diesem Tag mit dem linken Fuß aufgestanden und mehr den streng-korrekten Umgangsformen zugetan ist, könnte die Darbietungen Roman Schwallers womöglich mißverstehen. Der 38jährige Tenorsaxophonist definiert sein Handwerk nämlich als Musik, bei der es grooven muß, die swingen und die „dreckig“ sein soll. Was Schwaller allerdings mit der zusätzlichen Forderung, beim Jazz müsse es „Dingeling machen“, meint, erfuhren die Gäste im Neuburger Birdland-Jazzkeller am vergangenen Freitag bei einem in der Tat nicht alltäglichen Konzert.
Daß die Verbindung zwischen erdiger, ehrlicher, schweißtreibender Arbeit und überdurchschnittlichen instrumentalen Fähigkeiten eine Resonanz schaffen kann, von der heutige Generationen nicht einmal zu träumen wagen, dürfte nicht zuletzt seit dem Trompeter-Entertainer Dizzy Gillespie eine unbestreitbare Tatsache darstellen. Viele Kollegen verabscheuen jedoch Showelemente in dem irrigen Glauben, sie könnten den Blick auf ihre Kunst versperren. Dabei böte gerade eine kommunikative Brücke zum Publikum doch die große Chance, den Jazz ohne Ansehensverlust wieder von seinem viel zu hohen Sockel herunterzuholen. Roman Schwaller hat solches erkannt und lebt seine Konzerte in erster Linie nach der Maxime, nicht seinen, sondern den Bedürfnissen der Zuhörer Folge zu leisten.
Wenn der gebürtige Schweizer im gut besuchten Neuburger Club auch manchen Gag kräftig danebensetzte, so muß ihm doch zugute gehalten werden, den Nerv seiner Gäste spontan getroffen zu haben. „It`s Jaaasss“ rufen Schwaller und seine kongenialen Kumpane im Stile der Marx Brothers nach dem chaotischen Stimmen ihrer Instrumente und lassen der Ankündigung prompt Taten folgen. Das ideensprühende, spannungsgeladene Bebop- und Hardbop-Konzept wirkt trotz des relativ niedrigen Durchschnittsalters der Combo höchst zeitgemäß, sei es bei der Umdeutung alter Standards wie „The Man I love“, „Trinkle Tinkle“ von Thelonious Monk, dem Bebop-Stafettenlauf „Parker 51“ von Jimmy Rainey oder der Titelmelodie des 70er-Jahre-Krimis „Mannix“ (!) von Lalo Schifrin.
Trotz des variantenreichen und antreibenden Drummers Mario Gonzi aus Wien, seines noch unbekannten, aber hochtalentieren Landsmannes Oliver Kent am Piano sowie des ungekrönten Meisters des Walking-Basses, Thomas Stabenow geriet der Abend doch zu einer Schwaller-Show par excellence. Die urige Kraft dieses vitalen Tenor-Saxophonisten, der beileibe kein Neuerer sein will, seine witzig-intelligenten Kompositionen („Brütsch over troubled Water“, einem alten Freund gewidmet, oder „Horacio Hieronymus“), der Einfallsreichtum seiner improvisierten Linien, seine Ausgeglichenheit beim Intonieren von Balladen (niemand in Europa bläst „Body and Soul“ ergreifender) sowie die Kompromißlosigkeit seiner Darbietungen bringen tatsächlich den verloren gegangenen Glauben an die Popularität dieses Musikstiles zurück. Dann wird auch klar, warum jüngst ein Kritiker ausgerechnet Roman Schwaller als den „letzten freilaufenden Jazzmusiker Europas“ bezeichnet hat.