Copland – Ilg – Hirshfield Trio | 24.11.1995

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Tausendmal probiert, tausendmal ist nicht passiert – die Leidensgeschichte des klassischen Jazz-Pianotrios ließe sich treffender kaum beschreiben. Das einfallslose Rezept bei der Zusammenstellung solcher Formationen beschränkt sich gemeinhin auf einen mit allen Wassern des „Real Book“ gewaschenen Tastenkünstler, der zwei „Rhythmusknechte“ um sich schart. Fertig ist der abendfüllende Langweiler.

All jenen 99 von 100 Trios, die in diesem Strickmuster bislang ihr Heil suchten, sei dringend empfohlen, nach der berühmten Ausnahme Ausschau zu halten. Mag sein, daß ein nicht unbedingt auf Oberflächlichkeiten erpichter Sucher am vergangenen Freitag im Neuburger Birdland-Jazzkeller tatsächlich fündig geworden wäre. Dort präsentierte sich nämlich mit dem New Yorker Pianisten Marc Copland, seinem Landsmann Jeff Hirshfield am Schlagzeug sowie dem Freiburger Bassisten Dieter Ilg eine Gruppe, die sich der heiklen Aufgabenstellung erfreulich nonkonformistisch näherte und dabei eine Klasse offenbarte, die heute nur noch von dem legendären Keith-Jarrett-Trio übertroffen wird.

Hirshfield und Ilg verstehen sich nicht als „Diener“ des Pianisten und Copland zu keiner Phase als deren Chef. Raffinierte, offene Arrangements bieten den drei Individuen vielmehr jeden nur erdenklichen Freiraum. Den nützen sie auch weidlich durch ausgedehnte Improvisations-Happenings, bei denen blindes Wetteifern zum Fremdwort gerät. Wichtig scheint einzig das Erscheinungsbild des Songs. Dieses feinnervige, interaktive Musizieren verlangt neben handwerklicher Perfektheit jedoch vor allem eine starke gefühlsmäßige Verbindung, und dazu zeigen sich nur die allerwenigsten wirklich imstande.

Bereits bei der Demonstration der Fähigkeiten Hirshfields schält sich dies deutlich heraus. Der nie auf dem Beat, sondern immer mit fließenden, schwebenden Bewegungen und offenen Ohren agierende Drummer wird bei seinen Soli stets in den Gruppenkontext eingebunden, während andere Schlagzeuger ihre „Schießbude“ im Alleingang malträtieren. Oder Ilg, dieser feinnervige Baß-Virtuose, der vom Stil und der melodischen Schönheit her an Eberhard Weber erinnert. Er mischt seine Darbietungen dezent und unaufdringlich unter manche Pianophrase. Der Zuhörer ist verblüfft, erstaunt und ratlos, da er gerne gewohnheitsmäßig auf ein Solo applaudieren will, dessen Ende jedoch nur schwer ausmachen kann.

Derartige Auftritte erlangen oft eine seltsame Eigendynamik, die auch von ganz persönlichen Stimmungen und Empfindungen abhängig ist. Und gerade der hochsensible Marc Copland spricht mit Hilfe seiner sensitiven Fähigkeiten entblößend offen durch die schwarzweißen Tasten. Im Vergleich zu seinem ersten Konzert im Herbst 1993 hatte der 43jährige diesmal aber ganz offenkundig seine romantische Ader zugunsten einer eher grau-herbstlichen Melancholie zugeschüttet.

Die treffliche Nuancierung des Anschlags, die Dichte und Spannung der mitunter entrückten Läufe wirkten wie ein Bündel voller Erinnerungen. Vor allem bei zart angetupften, balladesken Nummern wie „Glad to be unhappy“, dem runderneuerten „Greensleaves“ oder Ilgs „One Life“ besaß Coplands impressionistische Lyrik einen Hauch von Traurigkeit, während „Segment“ und „Scrapple from the Apple“, die Homagen an Charlie Parker im originären Bebop-Höllentempo serviert wurden.