Die Saxophon-Ikone Lee Konitz ist beinahe schon Stammgast im Birdland. Der Kultstatus, den er genießt, zeigt sich allein daran, das ein gutes halbes Dutzend hochkarätiger Jazzmusiker aus dem süddeutschen Raum gekommen war, den Altmeister zu hören. Der Altist, der seinerzeit den einzigen gültigen Alternativentwurf zu Charlie Parker schuf und damit eine eigene Linie der Tradition seines Instruments begründete, stellte sich diesmal in einem neuen Kontext vor. Konitz widmete sich gemeinsam mit dem Spring String Quartett neben eigenen Kompositionen der Interpretation impressionistischer Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Wie viele Versuche hat es gegeben, Jazz und Klassik zu versöhnen – und wie viele sind schlichtweg gescheitert? Dabei haben sich Strawinsky und Co. weidlich vom Jazz inspirieren lassen, Rhythmik, Harmonik und Dynamik aus dem vitalen Fundus der improvisierenden Kollegen entlehnt. Auch Jazzer haben klassischen Idolen gehuldigt, vor Allem in der Cool-Ära Wurzeln geschlagen in der europäischen „E“-Musik des 19. und 20. Jahrhunderts. Warum nur ist der Third Stream, der zwischen beiden Genres vermitteln wollte, so ein dünnes Rinnsal geblieben, in dem es kaum lohnt gegen so manchen vordergründigen Bach-meets-Jazz-Effekt anzuschwimmen?
Die Frage wird ein Stück weit beantwortbar, wenn eine Ikone des Cool Jazz sich anschickt vor dem Hintergrund eines klassischen Streichquartetts der Musik des Impressionismus Referenz zu erweisen. Hier zeigt sich ein Weg, der so logisch ist wie er selten beschritten wird: Beide Wege zum musikalischen Ausdruck behalten ihr Recht. Was Lee Konitz und Ohad Talmor mit dem oberösterreichischen Spring String Quartett im Birdland Jazzclub ins Leben bringen, ist weder Jazz noch Klassik, ist aber auch kein unfruchtbarer Zwitter aus beidem, sondern ernsthafte eigenständige Musik von hoher Qualität und charaktervoller Stärke. Weder wird hier Ravel ellingtonisiert noch Milhaud verbrubeckt oder Satie verloussiert. Vielleicht erschließt sich die Qualität des Projekts neben dem weitgehend homogenen Spiel von Christian Wirth (v), Marcus Wall (v), Julian Gillesberger (viola), Stephan Punderlitschek (cello) aus der Tatsache, dass Ohad Talmor seine Arrangements ausdrücklich für die Zusammenarbeit mit Konitz schrieb. Den kennt und schätzt er seit vielen Jahren, in dessen Spuren hat er auch auf Klarinette und Bassklarinette seinen eigenen Tritt gefunden. So klingen des Altsaxophonisten improvisierte Linien, wie wenn sie die natürliche und unmittelbare Fortsetzung des geschriebenen Materials seien, setzen dieses mit luftigem Schwung, melodischem Einfallsreichtum, emotionalem Ernst und organischem Sound fort und ins Leben zu einer eigenständigen Größe. Andererseits schränken die Streicherarragments auch Konitz Originals nicht ein, sondern entfalten sie in einer klanglichen Alternative, in der Konitz unnachahmlich luftiger Saxophonsound um so intensiver zur Entfaltung gelangt. So mischen sich Jazz und Klassik einen ganzen Konzertabend lang zu einer hochgradig gehaltvollen Emulsion, auch wenn die Ingredienzen sich nicht wirklich zu bleibender Lösung zu vereinigen wissen. Die Frage nach dem Third Stream? Auf die gab es ein beeindruckendes kräftiges klares „Jein!“