The Heath Brothers | 04.05.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Der letzte seiner Spezies. Ein Relikt aus einer verblassten, besseren Zeit. Erst vor wenigen Wochen hat sich mit John Lewis ein weiterer Artgenosse in den Jazzerhimmel verabschiedet und Percy Heath nunmehr die alleinige Aufgabe hinterlassen, dem Mythos des Modern Jazz Quartet (MJQ) wenigstens einen Teil seiner irdischen Gegenständlichkeit zu bewahren.

Vor elf Jahren, da gastierte der geschmeidige Bassist mit seinen inzwischen verstorbenen Freunden noch im Neuburger Theater: Edle Smokings, würdige Noblesse, faszinierende Klangillusionen an der Demarkationslinie zwischen Swing und Klassik. Jetzt, mit 77 Jahren, steht Percy wieder in der Ottheinrichstadt im „Birdland“-Jazzclub“ auf der Bühne: diesmal hemdsärmelig, lässig und einfach saugut drauf. Die Zeit scheint bei dem vollendeten Gentleman, dessen verzwirbelt-krauser Vollbart so perfekt mit dem gedrechselten Kopf des Kontrabasses korrespondiert, wie seine Finger mit den dazugehörigen Saiten, einfach rückwärts zu laufen. Der Mann produziert immer noch Walking-Linien, die den Namen tatsächlich verdienen, und lässt mächtige, warme, delikate Töne lässig vom Steg abtropfen.

Inmitten dieses ausgelassenen Auftritts mit seinen Brüdern Jimmy und Albert, den nicht minder berühmten Heath Brothers, spätestens aber als die ersten Takte von „Bag`s Groove“ erklingen, ahnt jeder, dass die Legende vom MJQ ohne diesen Percy Heath allenfalls ein Ammenmärchen geworden wäre. So also sieht ein Rückgrat aus, das es gewohnt ist, ständig die Funktion von Herz und Hirn mit zu übernehmen. Allgegenwärtig, virtuos, aber niemals die eigene Kunst zum Selbstzweck missbrauchend, wirkt der scheinbar in einen Jungbrunnen gefallene Senior ausschließlich im Dienste der Musik.

Mit Jimmy, dem Tenorsaxofon spielenden Zweitgeborenen (74), liefert er sich slapstickreife verbale Dialoge, die nicht selten an die beiden Muppets-Greise Statler und Waldorf erinnern, um kurz darauf im genetischen Gleichklang ein unwiderstehliches „Confirmation“ von der Rampe zu schicken, das an allen Enden vibriert und groovt. Jimmy Heath beherrscht dieses scharwenzelnde, honkende Sax, kennt sich aber auch in den dunkel schimmernden Bluesgründen trefflich aus.

Wenn er schließlich bei „Round About Midnight“ zum Soprano greift, dann weht mit einem Mal der heiße, fast spirituelle Hauch John Coltranes durch den Schalltrichter. Bei Lichte betrachtet erscheint dies durchaus logisch: Jimmy Heath war einer der engsten Vertrauten des Saxofon-Hohepriesters und entwickelte quasi parallel zu diesem die bahnbrechende Idee des modalen Spiels. Kaum jemand weiß das heute noch. Und entsprechend offen steht die Verwunderung in den Gesichtern der „Birdland“-Besucher geschrieben.

Selbst Benjamin Albert „Tootie“ Heath (65) setzt sympathische Akzente: mit einer Fahrradklingel, dem glockenspielartigen Antippen der Becken, dem Reiben der Handteller über die Snare, dass die Hornhaut richtig auf den Fellen kratzt, oder einfach mit seiner unorthodoxen Rhythmusarbeit. Dazu noch der geschmackvoll akzentuierende, soulinfizierte Pianist Job Patton (das einzige Nichtfamilienmitglied) und einmal mehr Percy, plötzlich mit kindlicher Freude und altersweiser Brillanz in der bis zur letzten Note nach Südstaaten duftenden Cajun-Zugabe ein Cello (!) zupfend.

Die „Heath Brothers“ zum zweiten Mal im begeisterten Hofapothekenkeller: das war Resümee und Reminiszenz in einem. Viele unscheinbare, kleine Farbtupfer, die an ihre Herkunft erinnerten, aber auch jedem in angenehm uneitler Weise aufzeigten, dass die Gegenwart des Jazz ohne sie schon ein Stückchen ärmer wäre.