The Clayton – Hamilton Jazz Orchestra | 24.11.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

(Audi Forum Ingolstadt)

Hoppla, John Clayton! „This wonderful city of Cologne” war wohl ein kleiner Missgriff auf der Landkarte, als es darum ging, im voll besetzten Museum Mobile des Audi-Forums die üblichen Höflichkeitsfloskeln über den aktuellen Auftrittsort loszuwerden. Aber wie soll man als amerikanischer Jazzmusiker bei einer solchen Gewalttournee durch Europa auch den Überblick behalten: Manchester, Basel, Paris, Wien und jetzt eben Ingolstadt – Köln dagegen nicht. Kein Wunder, dass da auch mal die Orientierung flöten geht.

Es war freilich der einzige Patzer an diesem wirklich mitreißenden, in höchstem Maße faszinierenden Abend, der vor allem eines nachhaltig vor Augen führte: Das Audi Forum hat sich im fünften Jahr seines Bestehens längst auch als Jazz-Veranstaltungsort etabliert. Wo nämlich bekommt man heute sonst noch eine Big Band dieser Güteklasse zu sehen, einen Klangkörper, der alles vereint, was ehedem Duke Ellington, Count Basie und Gil Evans als Parameter für eine swingende Großeinheit definierten? Und wo willigt das Publikum ein, auf jedem Bläserriff aufzusteigen, darauf zu surfen und die knisternden Soli vollends zu inhalieren?

Das Clayton-Hamilton-Jazzorchestra (CHJO) ist in der Tat eine Ausnahmeerscheinung, deren swingender Magie sich auch Diana Krall, die derzeit erfolgreichste Frau der Jazzszene, für ihr aktuelles Album „Christmas Songs“ bediente. Ein Konglomerat an erlesenen Musikern, von denen jeder Einzelne auf eine mehr als respektable Solokarriere zurückblicken kann. Könner im besten Wortsinn, angeleitet von einem ungewöhnlichen Triumvirat, das der Band unverkennbar seine Handschrift auferlegt, ohne sie ihrer Individualität zu berauben. John Clayton, im normalen Leben ein allseits anerkannter Bassist, schneidert dem CHJO passgenau Arrangements auf den Leib. Horace Silvers herrlich hardboppendes „Jody Grind“ entwickelt sich durch die Kraft der 18 Gentleman zu einer wahren Groove-Lokomotive.

Schneller, höher, weiter: Unter diesem Motto brettert Sonny Stitts „Eternal Triangle“ im Tiefflug durch das Museum Mobile. Wie ein solch gewaltiger Klangkörper aber bei diesem Höllentempo noch derart exakt spielen kann, ist ein echtes Phänomen. Ebenso wie das Schlagzeugspiel des unvergleichlichen Jeff Hamilton. In „Back Home from Indiana“ lässt er aus angehauchten Bläserwolken Besenfills wie Regentropfen auf die Felle prasseln, während seine Komposition „Max“ mit der Urgewalt eines Sprengsatzes über die Rampe geht. Natürlich kann das CHJO auch anders: In Johnny Mandels „Emily“ öffnen John Clayton (am gestrichenen Kontrabass) und Pianist Tamir Handelmann einen Fächer voller Regenbogenfarben, auf die Jeff Clayton mit einem tief emotionalen Altsaxofon-Intermezzo glitzernden Sternenstaub schüttet.

Der Rest des Abends ist ein Stück Ingolstädter Jazzgeschichte. Allein das Intro von Monks „Evidence“ mit den verschachtelten Satzbrocken, diesen quer gelegten Taktstrichen, aus dem Hamilton irgendwann einen unwiderstehlichen Off-Beat ticken lässt, gerät spritziger, origineller und funkensprühender als viele Konzerte. Und dann die Fassung von „What A Wonderful World“: Mit einer in Moll getauchten, nachdenklichen Interpretation rehabilitiert die Band posthum den zu Lebzeiten heftig dafür kritisierten Louis Armstrong, der die Welt eigentlich gar nicht rosarot zeichnen, sondern nur erklären wollte, wie sie ohne Kriege, Rassendiskriminierung und Umweltverschmutzung aussehen könnte.

Auch das ist eines der vielen Verdienste des Clayton-Hamilton-Jazzorchestras. Einer Big Band, die sich gegenseitig anfeuert, die lebt, einen deutlich fühlbaren Puls besitzt und die richtig schwitzen kann. Das dabei entstehende Kondenswasser ist der Treibstoff des modernen Swing im 21. Jahrhundert.