The Canadian Jazz Collective | 12.05.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Man kennt sich ja. Und deshalb kann man durchaus auch unterscheiden, und zwar zwischen dem Konzert vom Mai 2022 und dem aktuellen. Vor fast genau einem Jahr nahmen sich die sieben Musiker aus dem Land der Elche, Bären und des Eishockeys noch die Freiheit, einfach mal eine Generalprobe für die tags darauf stattfindenden Plattenaufnahmen in Villingen-Schwenningen vor einem vollbesetzten Hofapothekenkeller anzusetzen und nach Herzenslust herum zu probieren, was geht und was nicht. Schier endlos lange Nummern mit ausschweifenden Soli sorgten damals für spürbare Ermüdung im Auditorium, ganz zu schweigen von der verhängnisvollen „Kopfigkeit“ der Musik – ein verhängnisvolles Klischee, das einem im Jazz leider immer wieder begegnet. Den Langzeiteffekt bekam das „Canadian Jazz Collective“ jetzt bei seiner Rückkehr in Gestalt von gelichteten Stuhlreihen zu spüren. Drum merke: Das Publikum vergisst nicht!

Dabei entpuppt sich das 2023er-Gastspiel als deutlich zugänglicher, weil sowohl die Arrangements wie auch die solistischen Beiträge kürzer ausfallen und auch die Combo intern besser aufeinander abgestimmt wirkt. Der Charakter des improvisatorischen Versuchslabors lässt sich jedoch auch nach zwölf Monaten nicht so ohne weiteres vom Tisch wischen. Ein Umstand, der womöglich am Ehrgeiz und der kreativen Energie der Musiker liegt. Abermals den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt das (im wahrsten Wortsinn) Schwergewicht des Kollektivs, der Trompeter Derrick Gardener. Seine geschwinden, rasenden Läufe qualifizieren ihn schon seit Jahren für höhere Aufgaben, und inmitten seiner Landsmänner und -frauen wirkt er wie ein Fels in der Brandung, dessen strahlender Ton wahrscheinlich sogar im tosenden Sturm zu hören wäre und der auch kompositorisch in der Champions League spielt („My Shining Hour“).

Dazwischen, davor, daneben und manchmal auch dahinter agieren der cool strukturierende Tenorsaxofonist Kirk MacDonald, die erfrischend flinke, superbe MacDonald-Tochter Virginia an der Klarinette, der elegant swingende Pianist Brian Dickinson, der unauffällig, aber überaus mannschaftsdienlich groovende Bassist Neil Swainson, als einziger Nicht-Kanadier der österreichische Drummer Bernd Reiter und Gitarrist Lorne Lofsky. Letzterer steuert jede Menge eigene Stücke bei, wie das an Thelonious Monk angelehnte „Waltz You Neednʼt“ (abgeleitet von „Well You Neednʼt“), dessen keyboardartiger Ton wirkt aber irgendwie meist wie ein Fremdkörper, gerade neben dem Klavier als zweiten Harmonieinstrument.

Klar: Es läuft wesentlich geschmeidiger als noch vor einem Jahr, und das „Canadian Jazz Collective“ stellt nachhaltig unter Beweis, das es jedem Vergleich mit den großen Kollegen aus dem Nachbarland USA, dem Mutterland des Jazz, standhalten kann. Alle beherrschen ihr Instrument auf bestechende Weise, verfügen längst über eine eigene Klangsprache und laufen vor Ideen nur so über, ihre verschachtelten, raffiniert konstruierten Arrangement verfügen über jede Menge fein strukturierter Winkelzüge und viele versteckte Fallstricke. Aber gerade am Schluss wird überdeutlich, wo das eigentliche Problem der sieben Kanadier liegt: Die Chemie innerhalb des Ensembles, die musikalische und vielleicht auch zwischenmenschliche Balance stimmt schlichtweg nicht! Der nachhaltige Beweis dafür, dass Themenbands, die auf Nationalität oder andere plakativ-zeitgeistige Aspekte setzen, im Prinzip doch über eine relativ kurze Halbwertszeit verfügen.