The Canadian Jazz Collective | 06.05.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Auch in Kanada gab (oder besser: gibt es) Corona, lange Lockdowns, keine Kultur, keine Konzerte und teilweise strengere Hygieneregeln als hierzulande. Wenn dann Künstler aus dem Land der Elche, Bären und des Eishockeys nach einer solch langen Leidenszeit endlich wieder ihrer Beschäftigung nachgehen dürfen, wirken sie mitunter wie ausgehungerte Tiere, vor allem wenn es darum geht, fernab der Heimat zu zeigen, was sie draufhaben. Unter diesen Vorzeichen muss man wohl das erste Konzert kanadischer Jazzmusiker in Neuburg, die sich in Septett-Stärke als „Canadian Jazz Collective“ vor einem erwartungsfrohen Publikum im ausverkauften Birdland-Jazzclub präsentieren, betrachten.

Zunächst gilt es festzustellen: Es gibt keinen qualitativen Unterschied zu den Kollegen in New York, Detroit oder New Orleans. Das, was der (im wahrsten Wortsinn) voluminöse Trompeter Derrick Gardener, der fast klassisch strukturierende Tenorsaxofonist Kirk MacDonald, der klug konstruierende Gitarrist Lorne Lofsky, die erfrischend unbefangene MacDonald-Tochter Virginia an der Klarinette, der elegant swingende Pianist Brian Dickinson, der unauffällig, aber verlässlich groovende Bassist Neil Swainson sowie als einziger Nicht-Kanadier der österreichische Drummer Bernd Reiter bei ihrem dritten gemeinsamen Konzert auf die Bühne zaubern, hält jedem Vergleich mit den Vorbildern aus dem Mutterland des Jazz stand. Alle beherrschen ihr Instrument auf bestechende Weise, verfügen längst über eine eigene Klangsprache und laufen schier vor Ideen nur so über. Das „Canadian Jazz Collective“ versteht sich als eine Art Composers Orchestra, das die drei künstlerischen Leiter Gardener, MacDonald und Lofsky als willkommene Plattform für ihre suitenartigen Arrangements nutzen.

Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Die Musik besitzt zu jeder Phase spannende, interessante Wendungen, wirkt überaus raffiniert konstruiert und verfügt über jede Menge fein strukturierte Winkelzüge und viele versteckte Fallstricke. Doch irgendwann drängt sich trotz all der swingenden Attitüde, die Bernd Reiter am Schlagzeug, Neil Swainson am Bass und Pianist Brian Dickinson um jeden Preis aufrechterhalten wollen, der Eindruck auf, die Darbietung könnte womöglich doch ein wenig „kopfig“, allzu mathematisch konstruiert sein. Wenn dann noch jeder ausführlich solieren darf, so geraten die Stücke schnell auf eine Gesamtlänge von 25 Minuten und das Ende des Konzerts rückt Richtung Mitternacht. Das mag der immensen Spielfreude geschuldet sein, die das kanadische Musikerkollektiv an den Tag legt. Doch als Probesession für eine tags darauf in Villingen anberaumten Aufnahmetermin eignet sich solch ein Konzert eher weniger, vor allem, weil noch keine Band zuvor derart viele Notenblätter mit auf die Bühne brachte.

Die fleißigen Kanadier würden am liebsten gar nicht mehr aufhören zu spielen, loben immer wieder die Atmosphäre des Clubs und versuchen mit Kompositionen, bei denen zum Beispiel in „The Power Of Four“ vier unterschiedliche Melodielinien neben- und übereinander laufen, Punkte zu sammeln. In „Dig That“ verschachteln sich die Bläsersätze, in „One Thing Came To Another“ fechten der gleißende, krachende Trompeter Gardener und die impressionistische, leise Klarinettistin MacDonald einen ungleichen Kampf aus, die Lofsky in ein paar spinnwebartige Gitarrenläufe einbettet.

Mit fortschreitendem Abend beginnt die Maschine freilich zu laufen, befreien sich Ensemblemitglieder immer mehr aus dem engen Korsett der Arrangements. Erst dann fällt auf, dass Derek Gardener einer der besten Trompeter ist, die seit langem im Birdland ihre Visitenkarte abgegeben haben, dass Vater MacDonald ein herrlich rhapsodierendes Tenorsaxofon spielt und Tochter Virginia in ihrer Kühnheit auf den Spuren des großen Jimmy Giuffre wandelt. Ganz zum Schluss, als niemand mehr damit rechnet, gibt es als Zugabe einen fantastischen „Slow Blues“, an dem nicht nur die Musiker ihren Heidenspaß haben, sondern auch das Publikum. Und bei dem es ausnahmsweise kein Notenblatt braucht, sondern nur die Lust am Momentum.